Reisebericht Toronto: Die Karibik in Kanada

Im Juli ist Toronto im Farbenrausch: Dann feiern Kulturvereine den Caribbean Carnival mit heißen Rhythmen und einer großen Parade auf dem Lake Shore Boulevard.

Toronto. Noch weniger wäre nackt. Eine braune Schönheit steckt in einem ebenfalls braunen, sehr knappen Lederbikini und kniehoch geschnürten Stiefeln. Der Riemchen- und Nietenschmuck auf ihren Schultern und an den Unterarmen mutet martialisch an. Sie lächelt freundlich, wie alle, die das Festival des karibischen Karnevals mitten in Toronto feiern.

Der Juli ist heiß in Kanadas größter Stadt, noch heißer wird er während der zahlreichen Veranstaltungen rund um den Caribbean Carnival. Überall versammeln sich Gruppen in schillernd-bunten Kostümen zur Parade, die etwa 3,5 Kilometer den Lake Shore Boulevard entlangführt. Begleitet von Trommelgruppen und DJ-Wagen schleppen die Teilnehmer riesige Kostümkonstruktionen aus Federn und Flügeln durch die Gluthitze am begeisterten Publikum am Straßenrand und auf den Tribünen vorbei. Viele Gruppen tragen Landesfarben, so sind beispielsweise die Jamaikaner allesamt in Gelb und Grün gekleidet, ihre eigene Musik haben sie natürlich auch dabei: Reggae.

Foto: Daniela Kebel

Blaue und türkisfarbene Miniröcke flattern im warmen Wind, rote lange Federn auf den Köpfen schwarzer Männer wiegen sich bei jedem Schritt. Frauen ziehen meterhohe Blumen aus buntem Stoff mit Hilfe einer Räderkonstruktion, die an ihren Hüften befestigt ist, hinter sich her. Andere sind wie ein kleiner lebender Körper in überdimensionale Fantasiegebilde aus gelben, grünen, orangen und blauen Tüchern eingespannt. Ein Stück Rio am anderen amerikanischen Ende. Kopfschmuck scheint hier ebenfalls Pflicht: Ob Hüte, Federn oder glitzernde Kronen.

Jeder tanzt, der Schweiß rinnt in Strömen. Zuschauer spannen Regenschirme gegen die Sonne auf, schmieren sich dick mit Sonnencreme ein. Mitmachen kann in den karibischen Karneval-Gruppen übrigens jeder: Weiße, Schwarze, Dicke, Dünne und Behinderte. Denn das Fest ist weniger ein perfektes Schaulaufen durchtrainierter, schlanker Körper, als vielmehr eine riesige Party für alle, die fern ihrer karibischen Heimat leben.

Wer mit all dem nichts am Hut hat, bleibt einfach in der Innenstadt. Besser gesagt in einem der vielen interessanten Stadtviertel mit Shopping-Malls, Hard Rock-Café und Markenläden von Adidas bis Swarovski. Hippes High-End-Shoppen geht natürlich auch: In unmittelbarer Nähe des Bata-Schuhmuseums in der Bloor Street West fühlt man sich mindestens wie auf der „Kö“ in Düsseldorf: Gucci, Prada, Chanel, Escada — alles da. Ebenso kleine Boutiquen für Damen und Herren, die es gern schick mögen und dabei nicht auf den Preis zu achten brauchen.

Michael, Stadtführer

Toronto lässt sich prima zu Fuß erkunden, zwischendurch ein paar Stationen mit der U-Bahn und schon ist der nächste Stadtteil erreicht — oder die unterirdische Shopping-Mall. Wer mit einem Stadtplan in der Hand suchend auf die Straßennamen schaut, braucht übrigens nicht lange auf Hilfe zu warten. Einheimische bieten freundlich ihre Unterstützung an — ganz von selbst. Die Straßen sind schachbrettartig angelegt, jedes Viertel hat seinen eigenen Charme: zum Beispiel China Town, das alte jüdische Viertel, Little Portugal und Little Italy oder Kensington Market. Allen gemein ist eine spürbare Gelassenheit, die auch auf Besucher entspannend wirkt. Sich im Trubel einer Großstadt zu entspannen, ist eine ganz neue Erfahrung.

Toronto hat noch ein anderes Gesicht, ein buntes, offensichtliches und doch verstecktes: seine Street-Art. Graffiti-Künstler verewigen sich vor allem in und um Chinatown mit fantastischen Bildern. So ziert die Chinesische Mauer eine lange Grundstückswand, andere Kunstwerke sind abstrakt, wieder andere zeigen Comicfiguren wie Tom und Jerry.

Guide Michael erklärt die unterschiedlichen Tags, also die Unterschriften der Sprayer, und ihre Hierarchie in der Stadt. „Werke werden nicht von anderen, die hierarchisch unter dem Künstler stehen, übersprüht“, erklärt er. Das sei gegen die Graffiti-Ehre. Viele Bilder sehen aus wie Ölgemälde, die Landschaften haben Tiefe, Personen wirken lebendig. „Alle paar Monate sehen die Straßen anders aus“, sagt Michael. Dabei sprühen viele Graffiti-Künstler mit offiziellen Aufträgen. Zum Beispiel von Firmen, deren Gebäude oder Mauern aufzuhübschen. Mittlerweile gehen die leeren Wände aus, in manchen kleinen Nebenstraßen reiht sich Bild an Bild. Teilweise fallen die Graffiti gar nicht als solche auf, weil sie wie Plakate oder Reklamewände aussehen.

„Ab und zu werden Wände grau überstrichen, um das Gesprühte zu beseitigen“, erzählt Michael. „Ein paar Stunden später prangt darauf der Slogan ,coming soon’“, fügt er lachend hinzu. „Im wirklichen Leben beachtet niemand diese Künstler, aber es gibt Ruhm für sie in der Szene. Es steigert ihr Selbstwertgefühl, wenn ihre Werke überall in der Stadt zu sehen sind.“ Die Autorin reiste mit Unterstützung von Tourism Toronto.