Inklusion: Mathe-Domino mögen alle
Seit August lernen Schüler mit und ohne Förderbedarf an der Arndt-Schule gemeinsam. Es ist das erste Projekt an einem Gymnasium.
Krefeld. Die Klasse 5a des Arndt-Gymnasiums besteht aus Musterschülern. Sie lernen in einem Unterrichtsmodell, das bald auch an anderen Schulen Einzug halten könnte. Denn die 5a ist die erste sogenannte inklusive Klasse eines Krefelder Gymnasiums: Seit Beginn des Schuljahres im August lernen an der Dionysiustraße 20 Jungen und Mädchen ohne besonderen Förderungsbedarf gemeinsam mit sechs Kindern, die aufgrund von Lern- und Entwicklungsstörungen Unterstützung im Unterricht benötigen.
Deutsch, Englisch, Sport und Erdkunde stehen auf dem gemeinsamen Stundenplan — an diesem Morgen steht in der ersten Doppelstunde Mathematik an. Müde ist in der 5a niemand, aufgeregtes Gewusel und lautes Geschrei beherrschen den Klassenraum, bis Lehrerin Margarete Deregowski eintrifft. Begleitet wird die 46-Jährige von Ulrike Klostermann, einer von zwei Förderschul-Lehrerinnen, die mit der neuen Inklusionsklasse ans Arndt-Gymnasium gekommen sind. „Ich betreue parallel zum Unterricht die schwächeren Schülerinnen und Schüler, bin aber auch für alle anderen da“, sagt die 50-Jährige, die vorher an der städtischen Comeniusschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen tätig war.
In der Mathestunde geht es um Rechenregeln, das Addieren wird zunächst spielerisch am Beispiel von Dominosteinen geübt: Alle Kinder erhalten einen Zettel mit einer Additionsaufgabe — jede Summe kommt als eine Zahl auf dem Zettel eines anderen Kindes vor. „Das ist die Anlagestelle für den nächsten Stein“, erklärt der elfjährige Ben. Auf dem Flur vor dem Klassenraum wird das „Kinder-Domino“ in einer langen Reihe aufgebaut.
Der elfjährige Marvin hat die Aufgabe auf seinem Zettel zwar problemlos gelöst, wo genau er sich jetzt einreihen soll, weiß er allerdings erst nach einigen Hinweisen der Mitschüler und einer Nachfrage bei Ulrike Klostermann. „Wenn sich die Kinder gegenseitig helfen, ist das optimal — ganz im Sinn der Inklusion“, sagt die Sonderpädagogin.
Nach dem Spiel geht es für die 20 sogenannten Regelschüler weiter mit dem Kommutativgesetz. Für Marvin und die fünf anderen Förderschüler geht es in einen Raum nebenan. Die 12-jährige Gamze ist froh, in kleiner Gruppe mit Ulrike Klostermann weiterzurechnen. „Das ist mir oft zu laut mit den anderen, so kann ich mich besser konzentrieren“, sagt das Mädchen. Auf der Förderschule sei das in kleineren Gruppen angenehmer gewesen. Gamze mag ohnehin lieber Kunst als Rechnen: Sie hatte ihren Zettel für das Domino-Spiel als Einzige in bunten Farben angemalt.
Für die sechs Förderschüler gilt zieldifferentes Lernen: Sie streben nicht das Abitur als Abschluss an, sondern folgen einem speziellen, auf sie abgestimmten Lernpfad, den sie am Arndt-Gymnasium mit der neunten Klasse erreicht haben. „So sieht das der aktuelle Inklusionsplan vor“, beschreibt Ulrike Klostermann das Konzept in Krefeld. Pionierarbeit, denn bislang gibt es auf Landesebene nur Entwürfe für ein Gesetz. „Deshalb ist es wichtig, dass die Regelschul- und Förderlehrer voneinander lernen“, sagt Margarete Deregowski. Ebenso sei der regelmäßige Kontakt mit den Eltern wichtig. „Das Fazit aller Beteiligten fällt nach vier Monaten positiv aus“, berichtet Harald Rosendahl. Die Inklusion, wie sie momentan stattfindet, könne nur durch das Engagement der Lehrer geleistet werden. „Aber es lohnt sich: Die Kinder schließen Freundschaften über den Schulbetrieb hinaus. Die Förderschüler sind integriert und die Regelschüler nicht eingeschränkt.“
Die Zusammenarbeit mit dem Schulträger, der Stadt Krefeld, loben die drei Pädagogen: „Im Vergleich zu anderen Städten ist Krefeld weit“, sagt Ulrike Klostermann. Der „aktuelle Schwebezustand“ sei aber auf Dauer nicht tragbar. „Mit einer zweiten Inklusionsklasse ab dem nächsten Schuljahr werden wir in jetziger Besetzung deutlich weniger Stunden begleiten können“, sagt Margarete Deregowski. Über Probleme und Lösungsansätze tauschten sich die Krefelder Schulen daher auch regelmäßig aus. Förderschul-Lehrerin Ulrike Klosterman fasst die Lage aus Sicht des Arndt-Gymnasiums zusammen: „Nur zu bemängeln, was alles schief läuft, bringt uns nicht weiter. Wir müssen jetzt beginnen.“