Lebenshilfe: Musik verbindet Lebenswelten
Menschen mit und ohne Behinderungen spielen gemeinsam in einer Band – ihr persönlicher Beitrag gegen Ausgrenzung.
Krefeld. Anna liebt ihre Mundharmonika. Aber vor allem liebt Anna Musik. Mitglied in einer Band zu sein, ist für die 28-jährige Frau mit Down Syndrom etwas ganz Besonderes. Das besondere an ihrer Band wiederum ist, dass Menschen mit und ohne Behinderungen dort zusammen Musik machen. "Rock am Ring Krefeld" nennen sich die 15 Mitglieder, die sich vor fünf Jahren zusammengetan haben und seitdem schon viele gemeinsame Auftritte hatten - ob beim Weltjugendtag mit dem Papst, beim Maifest in Xanten, auf dem Stadtfest in Solingen und natürlich im Rahmen vieler Krefelder Veranstaltungen.
Die Idee dazu wurde von Gerd Rieger geboren. Er ist Annas Vater, Musiktherapeut und -lehrer. In seiner Freizeit spielt er in der Jazz-Big-Band "Big Donkies". Die waren anfangs erst einmal skeptisch: "Sind die nicht zu schlecht für uns?", hat sich die Jazz-Formation gefragt. Gesiegt hat letztlich die Kraft der Musik - die dieses ungewöhnliche Projekt auch zusammenhält.
"Menschen mit Behinderung drücken ihre Freude an Musik sehr spontan, viel direkter und klarer aus, als wir es oft tun, die wir Noten lesen können und uns der Sache oft sehr wissenschaftlich nähern", erklärt Rieger. Dies imponierte seiner Jazz-Gruppe. Fasziniert von den unterschiedlichen Fähigkeiten der Menschen mit Behinderungen - ihrer Konzentration, ihrem Durchhaltevermögen, Begeisterung und musikalischem Empfinden - versuchten sie es schließlich miteinander. Und setzen damit ein wichtiges Zeichen gegen Ausgrenzung und für mehr Verständnis.
"Die Initiative zeigt, wie Teilhabe von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft gelebt und umgesetzt werden kann", freut sich Gerd Rieger.
Gerd Rieger, Musiker und Initiator der Gemeinschafts-Band
Von der Zusammenarbeit profitieren beide Seiten. "Die Musiker finden Kontakt zur Lebenswelt von Menschen mit Behinderung, was ihren Erfahrungsschatz stark bereichert." Anna, ihr Bruder Philip (26), der ebenfalls ein "Down-Kind" ist, und all die anderen Vereinsmitglieder der Lebenshilfe "bekommen die Gelegenheit, sich aus ihrem geschützten Raum hinaus zu begeben und Zugang zu öffentlicher Kultur zu finden."
Für sie ein unbezahlbarer Gewinn: "Es ist ein emanzipierender Schritt hinein in die Gesellschaft", weiß Rieger. Ernst genommen zu werden, gleichberechtigt zu sein und die Perspektive für ein menschliches Miteinander zu schaffen ist letztlich auch Inhalt vieler Lieder, die die Gruppe im übrigen alle selbst schreibt. "Wir covern nichts, spielen nur eigen komponierte und getextete Stücke, die sich fast alle um die Lebenssituation behinderter Menschen drehen", sagt Rieger.
Geprobt wird immer donnerstags. Dann sind die Fenster des Kellergeschosses der Lebenshilfe am Frankenring hell erleuchtet, aus dem Probenraum dringen afrikanische Grooves, Bossa-Rhythmen und immer wieder fröhliches Lachen und lautes Stimmengewirr. Die Spielfreude ist ansteckend und für die Zuhörer ein nicht weniger emotionales Erlebnis als für die Musiker selbst. Ein großer Traum aller ist es, eines Tages ins Tonstudio zu gehen und eine CD aufzunehmen.