Online-Sucht: Die unterschätzte Gefahr

Weil es keine Therapie gibt, kümmert sich eine Selbsthilfegruppe um Betroffene.

Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Es gibt eine Sucht, die gibt es gar nicht. Zumindest nicht offiziell, und das macht es für die Betroffenen so schwierig, Hilfe zu bekommen. Denn die Online-Sucht — die Sucht nach dem Internet — wird von den Krankenkassen nicht anerkannt, und deshalb gibt es auch keine Therapie für die Betroffenen. Werden sie dennoch behandelt, dann wenig speziell. „Die Online-Süchtigen werden dann mit Alkoholikern, Tabletten- und anderen Süchtigen zusammen behandelt“, sagt Britta Sarbok-Heyer.

Sie spricht aus eigener Erfahrung, war selber jahrelang online- und alkoholsüchtig. „Vier Jahre meines Lebens habe ich einfach verschwendet“, sagt sie heute. Mit Anfang vierzig wurde sie süchtig, nach Online-Spielen und nach Alkohol. In der virtuellen Welt war sie eine mächtige „Gilden-Chefin“, bestimmte über ihr eigenes Leben, hatte Macht, Freunde, Erfolg. Alles, was sie in der Realität in gleichem Maße verlor. „Ich habe bis zu 22 Stunden am Tag vor dem Computer gesessen. Man vernachlässigt alles, Kinder, Familie, Hygiene, den Beruf.“ Sarbok-Heyer hat alles verloren. Sie verlässt selbst Mann und Kinder. Der Schritt, zu ihrem Online-Partner zu ziehen, war scheinbar nur konsequent. „Zu Hause konnte mich ohnehin niemand verstehen“, sagt sie.

Online-Sucht wird in drei Bereiche unterteilt: Es gibt die Chat- und Kommunikationssucht, die Spielsucht und die Sucht nach Online-Sex. Das zwanghafte Verlangen geht bei den Betroffenen fast immer einher mit Scham, Depressionen, Traumatisierung. Was die Internet-Sucht neben den fehlenden Therapie-Angeboten so besonders gefährlich macht, ist, dass Betroffene heutzutage kaum noch die Möglichkeit haben, abstinent zu leben. Ohne Alkohol zu leben, ist möglich, ohne Computer und damit auch Internet — zumindest im Beruf — nicht.

Britta Sarbok-Heyer hat inzwischen beide Süchte im Griff, auch wenn sie die Symptome heute noch manchmal spürt. Sie leitet die Online-Sucht-Selbsthilfe-Gruppe Krefeld, die einzige im Umkreis von 150 Kilometern, die sich heute vor einem Jahr gegründet hat. Fünf feste Mitglieder hat die Gruppe und einige, die sie zur Laufkundschaft zählt. Mal kommen sie, dann wieder lange Zeit nicht. „Es ist unheimlich schwer, diese Menschen hinter dem Computer herzuholen.“

Die Gruppe bietet Gespräche an, die in der Familie oft nicht möglich sind. Vor allem aber müssen sich die Betroffenen bewusst werden, dass sie ein Problem haben. „Sie müssen sich verändern wollen — und das sich Aufraffen ist verdammt nicht einfach“, sagt Sarbok-Heyer, die aus Erfahrung spricht. „Aber ich kann auch sagen, ich bin das Beispiel, dass es funktioniert.“

Für die Zukunft hat sie zwei Wünsche: Sie will ihre Selbsthilfegruppe so gut aufbauen, dass sie auch dann funktioniert, wenn sie selbst mal nicht dabei ist. Und sie will noch mehr Betroffene erreichen. Ein Schritt dahin ist die Infoveranstaltung für Süchtige, Gefährdete und deren Angehörige, die am Donnerstag von 16-20 Uhr im Beratungszentrum Wiedenhof, Mühlenstraße 42 stattfindet.