70 Jahre NRW Endlich Alltag: Drei Senioren erinnern sich an die Gründungszeit

Arbeiten von früh bis spät, wenig Abwechslung beim Essen - so erinnern sich Senioren heute an die Gründungszeit des Landes NRW vor 70 Jahren. Politik spielte für die damals jungen Menschen weniger eine Rolle als die Rückkehr zum Alltag nach dem Krieg.

Die Senioren (l-r) Emilie Knapp, Rudolf Kampmann und Elfriede Lohmann erinnern sich an 1946.

Foto: Marcel Kusch

Unna (dpa). Sie waren gerade Teenager oder junge Erwachsene, als Nordrhein-Westfalen gegründet wurde. Nun sitzen sie im Marie-Juchacz-Seniorenheim in Unna in einer gemütlichen Runde zusammen und lachen: Emilie Knapp, Elfriede Lohmann und Rudolf Kampmann. Was sie genau am 23. August 1946 - dem offiziellen Gründungsdatum des Landes - gemacht haben, das wüssten sie nun wirklich nicht mehr, sagen sie. Bei ihren Rückschauen vermischen sich Erinnerungen, aber es wird klar: Die drei haben die ersten Jahre nach dem Krieg und die Gründungszeit von NRW als eine Zeit wahrgenommen, in der für sie endlich ein geregelter Alltag Einzug hielt. Politik war weniger wichtig. Die Senioren erzählen:

RUDOLF KAMPMANN
geboren und aufgewachsen in Werl, war am Geburtstag von NRW zwölf Jahre alt: „Die Zeit nach dem Krieg war auch für mich ein Umbruch, von der Politik habe ich aber gar nichts bekommen.“

DIE ARBEIT: „Ich wollte eigentlich Schmied lernen. Aber bei dem Agrarbetrieb, bei dem ich anfing zu arbeiten, musste mich um die Tiere kümmern und selbst mit beim Pflug anpacken. Schließlich wurde ich Maschinenschreiner-Lehrling in einer Tisch-Fabrik. Vom ersten Geld als Schreiner habe ich ein Fahrrad gekauft. Mit dem bin ich in der Freizeit umhergefahren.“

DIE FAMILIE: „In meiner Familie gab es sieben Kinder. Als die Besatzer kamen, mussten wir aus unserer Wohnung raus. Wir mussten zu Bekannten und Verwandten ziehen, weil die Soldaten in unsere Wohnung eingezogen sind. Hungrig war man nicht, aber es gab nur Karnickel zu essen. Die standen einem dann bis hier.“

ELFRIEDE LOHMANN
wurde in Unna-Königsborn geboren: „Im Alltag hat man nichts mitbekommen von der Gründung. Ich war damals erst 15 Jahre alt.“

DER ALLTAG: „Ich war von morgens bis abends mit Arbeit beschäftigt. Bei einer Familie in einem Vorort von Unna habe ich von der Pike auf das Hauswirtschaften gelernt: Hühner schlachten, Schweine verwursten und kochen natürlich. Alle 14 Tage hatte ich sonntags frei. Große Ausflüge konnte man aber nicht machen. Aber ansonsten hatte ich Glück, ich war nie hungrig.“

DAS ZUHAUSE: „Die Familie, bei der ich gelernt habe, hat sich gut um mich gekümmert. Mein Papa ist im Krieg geblieben. Ich hatte noch meine Mama und noch zwei Geschwister. Auch zu Hause gab es immer viel zu tun. Wir hätten uns gerne schön angezogen, aber wir hatten weder Geld noch Gelegenheiten. Nur zu meiner Konfirmation bekam ich ein feines weißes Hemd - und einen Hefekranz geschenkt.“

EINE ANEKDOTE: „An ein Erlebnis kann ich mich besonders gut erinnern: Einmal stand ein amerikanischer Wagen auf der Straße, als ich meinen kleinen Vetter spazieren fuhr. Wie ich so an dem Wagen vorbeigehe, sehe ich ein Päckchen darin liegen. Amerikaner waren keine im Auto, sie waren im Haus schräg gegenüber. Also schnappte ich mir das Paket und versteckte es im Kinderwagen. Und was meinen Sie, was im Paket war? Drei, vier Tafeln Schokolade! Lecker! Die gab es damals ja nirgendwo zu kaufen!“

EMILIE KNAPP
kam in Dortmund zur Welt und war am Tag der Gründung von NRW 22 Jahre alt: „Ich habe damals in meinem Elternhaus in Dortmund gelebt und mich um meinen kleinen Bruder gekümmert. Er war erst sechs, sieben Jahre alt, ich war schon älter. Ein anderer Bruder war nicht aus dem Krieg zurückgekehrt und meine Mutter wurde sehr krank. Ich habe sie deshalb unterstützt.“

DIE AMERIKANER: „Ich erinnere mich, dass man sich ursprünglich üble Gedanken über die Amerikaner gemacht hatte. Als sie dann da waren, stellte sich heraus, dass sie gar nicht so schlimm waren. Die Amerikaner kamen freundlich auf uns zu.“

DIE GRÜNDUNG: „Die Gründung von Nordrhein-Westfalen, das war eine komische Sache, man musste sich erst daran gewöhnen. Aber man hat gedacht: Hauptsache, es ist Ruhe und kein Krieg mehr. Und dann ging ich arbeiten und das normale Leben ging weiter.“