Pferd oder Rind: Hauptsache das Tor fällt hinter der Herde ins Schloss
Northern Territory.
Autsch, autsch, autsch. Die Kehrseite des aufregenden Cowboylebens ist eine schmerzende Kehrseite nach zwei Tagen Mustering. Das ist der englische Ausdruck für das, was man auf einer Cattle Station so treibt: das Bewegen von Vieh. Die Rinderherden werden aus dem Busch - ich denke, ich erwähnte bereits, dass wir über 4000 Quadratkilometer und 14.000 Kühe sprechen - zusammengesammelt und in die heimischen Yards gebracht.
In diesen Pferchen wird sortiert nach Bullen, Stieren, Kühen, Kälbern und so weiter. Das Ganze hat zweierlei Sinn. Zum einen werden so die Biester herausgezogen, die verkauft werden - vor allem Stiere, aber auch Bullen Zum anderen müssen die einjährigen Jungrinder von ihren Müttern getrennt werden. Denn leider fehlt den Kühen der Instinkt, ihre Kinder nach einer angemessenen Zeit zu verstoßen.
So sieht man bisweilen proppere Jungbullen - hier Mickeys genannt - an ausgezehrten Gerippen von Mutterkühen nuckeln. Bis die irgendwann von ihren knochigen Beinen kippen, weil sie selbst nicht mehr genügend Nährstoffe abbekommen. Also wird mit Hilfe von uns Jillaroos und Jackaroos abgenabelt.
Aber zuerst einmal muss das Vieh nach Hause gebracht werden. Mustering eben. Anderthalb Stunden sind wir mit dem rappelnden Truck auf notdürftig planierten Pisten rausgefahren, um unsere Pferde dorthin zu bringen, wo Matt und ein Pilotenkollege die Rinder aus allen Himmelsrichtungen mit den Helikoptern zusammentrieben.
Ich war auf Duggy unterwegs - eine ausführlichere Vorstellung wird noch folgen -, daneben vier weitere Reiter sowie Stationboss Frank und zwei der Jackaroos in Bullcatchern, umgebauten alten Allradfahrzeugen mit dicken Stahlgittern vor der Motorhaube. Und die kamen auch gleich zum Einsatz, als wir mit den Pferden den ersten Teil der Herde umzingelt hatten.
Matt im Chopper knatterte hinter einem massigen roten Bullen heran. Muskelberge und Hörner. Ein Cleanskin. So nennen wir hier Rinder, die weder Ohrmarkierungen noch Brandzeichen und dementsprechend noch nie einen Menschen aus der Nähe gesehen haben. Sie gebärden sich, wie man es von ihnen erwartet: wild. Immer wieder landete Matt fast zwischen den kargen Bäumen, um den galoppierenden Kerl in die Richtung der anderen Viecher zu treiben
Und immer wieder schlug er Haken und verschwand sonstwohin. Schließlich polterten die Bullcatcher mit heulenden Motoren los über Termitenhügel und Baumstümpfe, nahmen den Ausreißer in ihre Mitte und einer der Jackaroos wand ein Seil um seine Hörner. Statt mit der Herde weiterzuziehen, blieb der Bulle an einen Baum gebunden zurück und wartete dort auf den Anhänger, um zu den Yards chauffiert zu werden.
Eine zweifelhafte Belohnung für sein Verhalten! Aber ehrlich gesagt erging es uns mit seinen Artgenossen auch nicht viel besser. Kaum setzten wir sie mit den Pferden in Bewegung, da brachen schon die ersten aus. Ich sollte mit Duggy eigentlich vornewegmarschieren und der Herde den Weg weisen - die Rinder hier sind zumindest teilweise darauf trainiert, Pferden zu folgen.
Stattdessen rissen immer wieder Teile zur Seite aus - bis wir irgendwann ein in alle Richtungen rennendes Wirrwarr aus Kühen hatten, dem ich auf Duggy wild entschlossen hinterhergaloppierte. Auf einer Ebene gelang es mir schließlich, wenigstens einen Teil zum Stehen zu bringen. Zusammen mit meiner Jillaroo-Kollegin Vanessa - ebenfalls Deutsche - umrundete ich die Viecher immer wieder, bis schließlich von überall her die anderen Reiter und Fahrzeuge mit Herdenresten zu uns stießen.
Mit etwas mehr Disziplin ging es dann weiter in einen Paddock, wo die Rinder und unsere Pferde die Nacht durchschnaufen konnten. Den Weg in die heimischen Yards konnten wir erst am nächsten Morgen antreten. Und ich muss sicher nicht betonen, mit wie viel Enthusiasmus ich die Jillaroo-Kehrseite nach acht Stunden am ersten Tag wieder in den Sattel geschwungen habe ...
Frisch ausgeruht büxte uns die gesamte Herde natürlich gleich wieder aus Aber nach fast zwei Monaten im australischen Outback schocken mich 1500 durchgehende Kühe im Rücken fast gar nicht mehr. Dran bleiben, wieder einfangen, neu versuchen. Ist eigentlich auch nicht anders, als wenn man sich als Journalistin bei einer Recherche mal verrannt hat. Am Ende zählt, dass die Geschichte im Druck ist - oder das Tor der Yards hinter der Herde ins Schloss fällt.
Nur die schmerzende Kehrseite, die unterscheidet Jillaroo- und Journalistenleben doch ganz eindeutig.