Zu Hause in „Schöngelegen“
Die alte Bergbaustadt Essen lädt zum Verweilen in vielen grünen Parks ein. Und sie besitzt kostbare Kunstwerke.
Essen. Am 1.Januar 2010 bricht in Essen die Kulturhauptstadt Europas aus, und dann muss alles leuchten und erneuert strahlen. So laufen jetzt die Vorbereitungen auf Hochtouren, die Stimmung ist wie die im Berlin der 20er Jahre: Es riecht nach Aufbruch. Denn Essen besitzt so viele Schönheiten und Schätze, dass man sich auch unter diesen Umständen erholen kann.
Aber lieber das Auto zu Hause lassen, damit man einen Tag fast gänzlich unbehelligt von der Verkehrs-Misere verbringen kann. Die einstige Bergbaustadt beherbergt heute überraschend viele und geradezu idyllische grüne Lungen-Flügel. Wer die Margarethenhöhe besucht, vergisst Zeit und Ort, taucht in eine andere Welt ein.
Längst steht die Siedlung unter Denkmalschutz. Sie wurde errichtet mit Mitteln der "Margarethe Krupp-Stiftung für Wohnungsfürsorge" als Hochzeitsgeschenk an Bertha Krupp zur Vermählung mit Gustav von Bohlen und Halbach 1906. Aus ihrem Privatvermögen erwarb die Mäzenin 50 Hektar Baugelände und weitere Ländereien im grünen Essener Süden.
Zum Teil besitzen die Straßen bis heute Namensschilder in alter Schrift, und diese erzählen denn auch von ihrem Wesen: Im Stillen Winkel, Winkelstraße, Tiefer Weg, Hoher Weg, Fibelweg, Steile Straße, Im Heimgarten, Ginsterweg... Mir ist das Gässchen "Schöngelegen" am liebsten.
So sieht hier alles auch aus, so duftet es, nach wilden Stockrosen, uralten Linden, Eichen, Kastanien und überwältigend üppig prangendem wildem Wein. Die niedrigen weißen Häuser mit ihren niederländisch grün gestrichenen Holzläden strahlen Behaglichkeit aus.
Unbedingt sehenswert ist der "Kleine Markt" mit Gebäuden im Jugend- und Gründerzeit-Stil. Und das 102 Jahre alte Hotel-Restaurant am Markt der Margarethenhöhe, das mit vier Sternen glänzt, lädt zu einer Pause unter alten Kolonnaden ein. Überall duftet das Grün, schweift das Auge über reich blühende Gärten.
Geht man zurück und dann wieder rechts, stößt man 50 Meter weiter auf einen Platz und erblickt linkerhand einen Wald, der zum 1929 errichteten Grugapark führt. Dieser hält eine Fülle botanischer und zoologischer Raritäten bereit: im Mediterraneum, Kleintiergarten, in den Tropen-Schauhauspyramiden, im Wasser- und Musikgarten, den Zonen für seltene Tier- und Pflanzenarten.
Die Gruga ist ein Park, wo zu allen Jahreszeiten die schillerndsten Gewächse aus aller Herren Länder blühen. Für Kinder gibt’s Abenteuerferien-Angebote, und wer möchte nicht einmal im "Garten der Sinne" lustwandeln?
Dergestalt sinnlich beschenkt, geht es zur nicht minder reichen Übersinnlichkeit im frühgotischen Dom, der Münsterkirche. Sein achteckiger Turm aus dem 11. Jahrhundert ist ein Wahrzeichen der Stadt. Als im Jahr 845 der adlige Geistliche Altfrid hier ein Frauenstift gründete, war damit der Grundstein der Stadt Essen gelegt. Bis zur Auflösung, geschuldet der Säkularisierung 1803, bestimmten die durchweg starken Äbtissinnen die Stadtpolitik.
Der Domschatz birgt Kunstwerke und Zeitzeugnisse. Vier Gemmenkreuze aus dem 10./11. Jahrhundert, die Kinderkrone des dreijährigen Kaisers Otto III., liturgische Kunstwerke aus dem Mittelalter, die weltweit wichtigste Sammlung ottonisch-salischer Goldschmiedekunst; die berühmte Goldene Madonna von 980 ist das erste vollplastische Bildwerk des Mittelalters.
Für eine Stärkung bieten die Geschäfte, Restaurants und Cafés auf der Kettwiger Straße reichlich Gelegenheit. Die Delikatessen im "Casino" des Weltkulturerbes sind himmlische, ihre Preise allerdings auch; aber es gibt in der Kokerei und der Kohlenwäsche auch Cafés. Und man sollte sich nicht ins Bockshorn jagen lassen von Vokabeln wie "Beste Eventlocation".
Zeche Zollverein ist ein Industriedenkmal, wo 135 Jahre lang Arbeiter Steinkohle förderten, und das kostete viele das Leben. Doch es lohnt sich, das 100 Hektar große Gelände mit seiner beeindruckenden Zechen-Architektur zu erwandern oder zu erfahren; man kann auch Räder mieten. Die bis heute funktionsfähigen gewaltigen Maschinerien wecken Staunen und Demut.
Zum Schluss aber das ultimative Entspannungsangebot in Werden. "Perle an der Ruhr" nennt sich das einst selbständige Städtchen am Baldeneysee mit vielen alten Fachwerkhäusern selbstbewusst. Werden beherbergt mit der Folkwang-Hochschule eine der berühmtesten Kunsthochschulen, und in der ehemaligen Benediktiner-Abtei spiegelt sich Kunst und Kultur des Mittelalters im Ruhrgebiet.
St. Ludgerus ist seit 1993 eine Basilika, 1275 errichtet hoch auf dem Hügel über der Altstadt. Die wiederum lockt mit verwinkelten Gässchen, gepflegten Gärten, Cafés mit leckeren Törtchen oder urigen Biergärten. Oder Geschäften wie dem "Exclusiven Second-Handshop". Lassen Sie den Bootsverleih getrost links liegen und gehen schnurstracks über die Brücke zur Brehm-Insel. Hier darf man im Schatten hoher Bäume spielen, lachen, träumen, faulenzen.
Viel Vergnügen, gutes Schuhwerk und Sonne satt!