Der Star ist ein Kartoffelchip

London (dpa) - Manchmal sieht es aus wie ein riesiger Kartoffelchip, manchmal eher wie eine überdimensionale Flunder oder ein Pfannkuchen. Von der einen Perspektive kommt dem Betrachter das olympische Velodrom vor wie ein großer Halbmond am Horizont.

Von der anderen einfach nur wie eine stilvoll geschwungene Wand aus Holz. Egal, von wo aus man draufsieht: Die Radrennbahn, die für Großbritanniens Fahrrad-Helden um Chris Hoy zum Ort der Glückseligkeit werden soll, ist der Star unter den Neubauten für die Olympischen Spiele in London. „Sie ist mein Favorit“, sagt die Präsidentin der britischen Architekten-Vereinigung Royal Institute of Architects, Angela Brady.

Das 100 Millionen Pfund (125 Millionen Euro) teure und für 6000 Zuschauer ausgelegte Bauwerk des Londoner Büros Hopkins Architects schlägt für viele Architektur-Begeisterte sogar die 270 Millionen Pfund teure Schwimmhalle von Star-Baumeisterin Zaha Hadid mit ihrer Wellen-Optik.

In 26 Sportarten kämpfen die besten Sportler der Welt bei Olympia um Goldmedaillen - die Spiele von London sind aber auch ein riesiger Architektenwettbewerb. Velodrom, Olympiastadion und Aquatic Centre haben schon im Vorfeld Preise eingeheimst. Das 115 hohe Meter hohe Stahlgewinde Arcelor Mittal Tower von Anish Kapoor soll als Kunstwerk zum Wahrzeichen der Spiele und Treffpunkt der Olympia-Touristen werden. Die in der seltenen Londoner Sonne rötlich schimmernde „Copper-Box“ („Kupferschachtel“) als Handball-Halle, die Basketball-Arena als riesiger weißer „Marsh Mellow“ und das farbenfrohe Hockeystadion mit blauem Spielfeld und pinkfarbenem Rand ergänzen das Bild.

Rund sieben Milliarden Pfund steckten die Organisatoren in die olympische Infrastruktur. Glaubt man den Machern der Spiele, ist es gut angelegtes Geld. Alles was stehen bleibt, soll später den Londoner Bürgern zugutekommen - Bauten im Wert von allein fünf Milliarden Pfund, wie der Chef der für die Infrastruktur zuständigen Olympic Delivery Authority, Dennis Hone, versichert.

Zumindest von der Größe her überragt das 80 000 Zuschauer fassende Olympiastadion, wo am 27. Juli die gigantische Eröffnungsfeier steigen wird, alles. Doch das vom Philip Johnson für fast 500 Millionen Pfund geschaffene Monstrum aus 10 000 Tonnen Stahl besticht eher durch Finessen hinter den Kulissen. So kann es etwa auf 25 000 Plätze zurückgebaut werden, damit die Nachnutzer nicht mit olympischen Dimensionen kämpfen müssen. „Wir haben auch ganz stark auf die Zuschauer geachtet, dass die so nah am Geschehen sind wie nur irgend möglich“, sagt Johnson, dessen Londoner Büro Populous bereits Sportstätten für Sydney 2000 geschaffen hatte und für Sotchi 2014 erneut im Gespräch ist.

Mit seinem „Amtsvorgänger“ aus Peking, dem unter Mithilfe des Künstlers Ai Weiwei atemberaubend gestalteten „Vogelnest“, kann das Londoner Stadion nicht mithalten. Doch diesen Wettbewerb wollten die Olympia-Baumeister von London gar nicht erst aufnehmen, als sie im Jahr 2005 den Zuschlag für die Spiele 2012 erhalten hatten. Stattdessen stand bei ihnen das Wort „Nachhaltigkeit“ in Großbuchstaben auf dem Reißbrett. „Das war das wichtigste überhaupt“, sagt Angela Brady. Der Olympiapark war eine Industriebrache, nicht viel mehr als eine riesige Müllhalde auf der Fläche von 350 Fußballfeldern. „Es hat ein bisschen Vorstellungsvermögen gebraucht, um zu erkennen, was hier entstehen soll“, sagt Johnson.

In den Gebäuden selbst sind raffinierte Kleinigkeiten eingebaut, die in ihrer Gesamtheit dazu beitragen sollen, dass London die „bisher grünsten Spiele der Moderne“ liefert, wie David Stubbs vom Organisationskomitee sagt. Im aus sibirischem Nadelholz gezimmerten Velodrom sorgen Aussparungen im oberen Bereich für Licht und gleichzeitig eine natürliche Belüftung. Auf den Dächern des olympischen Dorfes wird Regen aufgefangen, um die Klospülungen zu betreiben. Dächer von Velodrom und Olympiastadion sind aus Drahtseilkonstruktionen - das spart Gewicht und Material.

Als die Londoner Olympiaorganisatoren um LOCOG-Chef Sebastian Coe 2005 überraschend den Vorzug vor Paris und New York bekommen hatten und mitten in der Umsetzung ihrer Pläne waren, kam die große Wirtschaftskrise: Fluch und Segen zugleich. Kurzerhand entschlossen sie sich, viele im sporterprobten London bereits bestehende Sportstätten in ihre Planung einzubeziehen. Beachvolleyballer schmettern nun auf der Horse Guards Parade, wo normalerweise Queen Elizabeth II. Geburtstag feiert. Auf dem Heiligen Rasen von Wembley finden die Finals des Fußball-Turniers statt und in Wimbledon schlagen die Tennisstars auf. Und wenn die Marathonläufer auf die Zielgerade einbiegen, werden die Fernsehkameras die Bilder vom Buckingham Palast in alle Welt übertragen.