Herr Rose, wir wollten mit Ihnen heute mal nicht über Jürgen Klopp sprechen.
Interview Gladbachs Trainer Marco Rose und die Politik: „Viele wählen nicht mehr aus Überzeugung“
Mönchengladbachs Trainer Marco Rose spricht im Interview über Landtagswahlen in Sachsen, Kreativität auf dem Platz und das Nomadenleben eines Fußballtrainers.
Marco Rose: Warum nicht? Ich rede gerne über „Kloppo“, weil er auch eine wichtige Person in meinem Leben und ein guter Freund ist. Ich finde es allerdings immer witzig, wenn der erste Satz sofort in diese Richtung geht.
Wir fangen anders an: In Sachsen fanden Landtagswahlen statt. Sie leben in Leipzig, haben dort gewählt. Hängen bleibt: die AfD hat 27 Prozent der Stimmen erhalten. Wie erleben Sie das?
Rose: Jeder hat seine eigene Meinung. Ich bin kein Politiker. Ich bin nur ein Mensch, der sich seine Gedanken über die Gesellschaft, deren Entwicklung und den Umgang macht. Mein Eindruck ist, dass viele Menschen mittlerweile gar nicht mehr aus Überzeugung wählen gehen. Das ist das große Problem, und ich weiß auch nicht, ob das bei der Politik richtig ankommt. Die Leute gehen wählen, weil sie entweder frustriert sind, dann wählen sie die AfD. Oder sie gehen hin, um so etwas wie die AfD zu verhindern. Dann wird die Partei gewählt, die es am ehesten schafft, die meisten Prozente zu bekommen, um den Rechtsruck zu vermeiden.
Das klingt nach zwei Fronten. Auf der einen Seite die Rechten, auf der anderen die Gegner. Dazwischen nichts?
Rose: Ich würde gar nicht so sehr von Fronten reden. Es gibt zu viele Menschen, deren Motivation bei einer Wahl Enttäuschung ist. Was mich nur seit einigen Jahren wundert: Sobald die Wahlen vorbei sind, alle Parteien an einem Tisch sitzen und über mögliche Koalitionen diskutieren, ist der erste Impuls: „Wir würden natürlich mit dieser und dieser Partei koalieren, wenn sie dieses und jenes ähnlich umsetzen, wie das in unserem Programm steht.“ Aber in meinen Augen realisiert keiner das Kernproblem. Jeder dort am Tisch müsste sagen: „Wir nutzen unsere Mehrheiten, um gemeinsam gegen das Thema Rechts anzuarbeiten.“ Und zwar wirklich gemeinsam, ohne Kompromisse. Das ist traditionelle Politik, die hat aber nichts mit dem Zeitgeist zu tun. In Sachsen lacht sich der Mann von der AfD ins Fäustchen, weil er mit einem Programm Prozente gemacht hat, das die Unzufriedenen anspricht. Und die, die was ändern können, verstricken sich in sinnlose Streitthemen in Koalitionsfragen. Das Problem ist Nebensache. Es geht immer um persönliche Präferenzen.
Liegt die Lösung fern?
Rose: Ich bin zu weit weg, um zu verstehen, wie die tägliche politische Arbeit funktioniert. Aber man sollte einfach mal dorthin gehen, wo es nicht so gut läuft, und mit den Leuten dort reden. Jeder, der einen gesunden Menschenverstand hat, kann dann einschätzen, was machbar und lösbar ist. Schon das würde den Leuten ein gutes Gefühl geben. Ich glaube, Politik wird heutzutage viel zu weit weg von den Menschen gemacht.
Erleben Sie diesen Frust auch in ihrem Umfeld in Leipzig oder sind Sie als privilegierter Mensch zu weit weg von diesen Problemen?
Rose: Es ist kein Thema des Ostens. Auch im Westen gibt es strukturschwache Regionen. Da trifft im Prinzip das gleiche zu. Auch dort wollen die Menschen, dass ihnen zugehört wird. Und klar: Ich bin in einer privilegierten Situation, aber trotzdem ziemlich bodenständig. Ich habe noch alle meine Freunde aus meinem alten Freundeskreis. Ich glaube schon, dass ich den Querschnitt der Gesellschaft kenne.
Ihre Familie lebt in Leipzig, Sie selbst pendeln zwischen Mönchengladbach und Leipzig. Wie gehen Sie mit diesem Nomadenleben um?
Rose: Ich habe mich sehr gut in Mönchengladbach eingelebt, schnell ein schönes Heim gefunden mit netten Nachbarn, die uns ganz lieb aufgenommen haben. Dieser Aspekt eines Trainerlebens ist nicht jedermanns Sache, dafür muss man auch ein wenig geschaffen sein. Und es braucht auch eine Partnerin, die das alles mitmacht. Selbst da gibt es Situationen, die nicht immer einfach sind. Natürlich fragt mich meine Tochter ab und zu, ob ich nicht mal einen Verein in der Nähe von Leipzig trainieren könnte. Das sind keine einfachen Momente für mich. Trotzdem wissen wir auch, dass es für unsere Tochter gut ist, in ihrem sozialen Umfeld aufzuwachsen und nicht ständig herausgerissen zu werden. Dementsprechend haben wir das in den vergangenen Jahren richtig gut hingekriegt.
Und Sie nutzen häufig die Situationen, um zur Familie zu fliegen?
Rose: In Salzburg war es gar nicht so einfach, weil es keine direkte Flugverbindung nach Leipzig gab. Jetzt ist es mit der Verbindung Düsseldorf-Leipzig deutlich einfacher.
Jetzt sind Sie seit ein paar Wochen hier. Sind Sie mit der Bilanz aus vier Punkten aus drei Spielen plus Weiterkommen im Pokal zufrieden?
Rose: Zufrieden sind wir nie. Als Profi willst du auf diesem Niveau immer gewinnen. Trotzdem können wir die Situation realistisch einschätzen. Im Moment geht es bei uns auch noch viel um Entwicklung. Doch wenn wir über die Bundesliga reden, wissen wir, dass Spiele durch Kleinigkeiten und Details entschieden werden.
Was lief zuletzt gegen Leipzig trotz des 1:3 besser?
Rose: Ich glaube, wir haben uns viel besser und vor allem freier ohne Ball auf dem Platz bewegt. Dadurch haben wir Räume geschaffen, die wir bespielen konnten. Wir haben weniger statisch und mit mehr Zug nach vorne gespielt und dabei auch mehr Kreativität entwickelt. Dadurch konnten wir mehr Wucht nach vorne entwickeln.
Geht den Spielern Kreativität verloren, wenn Sie mit so vielen neuen Abläufen beschäftigt sind?
Rose: Wir haben vorne mit Embolo gespielt, der erst seit sechs Wochen im Club ist. Auch Thuram ist neu. Dazu kommt Plea, der seit einem Jahr hier ist und sich jetzt auch erst einmal mit seinen neuen Kollegen zurechtfinden muss. Dazu kommt der neue Input vom Trainerteam. Da kann es schon vorkommen, dass du als Spieler zu verkopft bist. Zum Thema Kreativität: Als Trainer versuchst du, deine Ideen und Abläufe über Training, Videostudium oder Animationen an den Mann zu bringen. Darüber hinaus ist es aber wichtig, dass die Spieler auf dem Platz eigene Entscheidungen treffen. Und die müssen nicht die sein, die der Trainer vorher auf der Tafel vorgegeben hat. Sie müssen zur Situation passen und mit Kreativität zusammenhängen. Vor allem im letzten Drittel, wenn es in Richtung Tor geht. Bis dahin kannst du viele Dinge vorgeben. Aber im letzten Drittel geht es darum, dass du agierst und nicht reagierst, dass du handlungsschneller bist als der Gegner.
Ein Jahr vor ihrem Engagement bei RB Salzburg haben Sie die erste Mannschaft von Lok Leipzig in der vierten Liga trainiert.
Rose: Da habe ich viel autodidaktisch gearbeitet. Ich habe vieles aus dem Bauch heraus entschieden – und das war auch kein schlechtes Jahr, weil ich gemerkt habe, dass mein Bauchgefühl gar nicht so übel ist. Trotzdem wäre es schöner gewesen, viel mehr zu diskutieren, viel mehr Input und Feedback zu bekommen. Bei Lok habe ich die Trainingsplanung, Kaderplanung, Trainingssteuerung und noch vieles mehr gemacht. In der Summe war das für meinen Reifeprozess zwar ganz gut, aber es war vor allem wichtig, anschließend den nächsten Entwicklungsschritt zu gehen.
Wie hatte Klopp seinerzeit den Eindruck bekommen, dass Sie und Sandro Schwarz Trainer werden könnten?
Rose: Vielleicht, weil wir schon damals ab und zu was mitgeschrieben und auch viele Dinge hinterfragt haben. Das war auch so eine Lehre für mich: Du musst als Trainer heutzutage anders funktionieren, weil die Spieler alles hinterfragen – vor allem inhaltlich.
Wie sieht das konkret aus?
Rose: Die hinterfragen nicht jede Übung. Aber wenn du mit ihnen mal alleine sprichst, und du merkst, was dann für Fragen kommen, dann solltest du schon ganz gut vorbereitet sein. Die Spielergeneration von heute ist schon pfiffig unterwegs und hinterfragt auch gerne. Fachkompetenz hilft (lacht).
Wer hinterfragt viel?
Rose: Chris Kramer hinterfragt viel. Flo Neuhaus, Matze Ginter und noch einige andere.
In den vergangenen Jahren gehörten Spieler wie Lars Stindl oder Raffael zu den Säulen. Haben sie mit dem neuen Stil weniger Chancen?
Rose: Ich sehe das ganz anders. Jeder Spieler hat die Chance, sich auf das einzustellen, was die neue Spielidee einfordert. Ich weiß, dass ein Raffa oder ein Lars keine Sprintertypen mehr werden und alles in Grund und Boden laufen. Auch in Salzburg hatten wir Spieler, mit anderen Qualitäten. Das ist ja auch ein Ammenmärchen: Der Rose kommt und jetzt sind nur noch extrem dynamische Fußballer gefragt. Wenn man den Fußball verfolgt, stellt man fest, dass er insgesamt dynamischer geworden ist. Mittlerweile verpflichten manche Vereine nur noch nach Dynamik. Das ist aber nicht unser Ansatz. Unser Fußball soll das Komplettpaket sein. Wir wollen auch fußballerische Lösungen, gut gegen den Ball sein und gut umschalten. Wenn du dann als Trainer auf einen Raffael oder Lars Stindl mit dieser fußballerischen Qualität zurückgreifen kannst, ist das Freude.
Sorgt die Europa League für Vorfreude?
Rose: Mit dem AS Rom haben wir ein Top-Los erwischt. Der Wolfsberger AC ist ein schwieriger Gegner, sehr unangenehm zu bespielen. Gegen Istanbul haben wir schon in der Vorbereitung gespielt. Individuelle Qualität ist da mehr als genug vorhanden. Insgesamt ist es eine spannende Gruppe und wir freuen uns auf die Aufgabe.
Die Europa League wurde von deutschen Mannschaften oft stiefmütterlich behandelt. Hat erst Frankfurt gezeigt, was möglich ist?
Rose: Auch mir hat es sehr viel Spaß gemacht die Eintracht zu verfolgen. Natürlich habe ich die Diskussionen um die Wertigkeit das Wettbewerbs in Deutschland verfolgt und nie so ganz nachvollziehen können. Ich kann aus eigener Erfahrung berichten was für ein cooler und wichtiger Wettbewerb das ist. Wir wollen auf jeden Fall die Gruppenphase überstehen.
Was heißen Stärke und Dynamik der Bundesliga für Ihre Mannschaft?
Rose: Dass wir uns weiter entwickeln müssen. Ich sage meiner Mannschaft immer, dass wir noch lange nicht am Limit sind, und dass wir noch gar nicht wissen, was unser Limit ist. Was Laufbereitschaft, Intensität und das Spiel in die Tiefe betrifft, können wir richtig noch was draufpacken. Auch in Sachen Zweikampfführung ist Luft nach oben.
Marco Rose in sechs Jahren – wo stehen Sie?
Rose: Im Moment ist mein Ziel, so lange und erfolgreich wie möglich in Gladbach zu arbeiten. Es gibt bei mir keinen Karriereplan, den gab es noch nie. Ich weiß nur, dass ich mich mit allem, was ich habe, auf diesen Verein hier einlasse.