Trauer und Trost in Gladbach
Borussia steigt ab. Jetzt sind „Seelsorger“ wie Thomas „Tower“ Weinmann gefragt.
Mönchengladbach. Wo einst Gegner auf dem Fußballrasen durcheinander gewirbelt wurden, wirbeln heute Bagger Staub auf. An der Bökelstraße in Mönchengladbach-Eicken sind in einer gewaltigen Baustelle Tribünen und Flutlichtmasten verschwunden. Nur ein paar Kassenhäuschen stehen noch traurig herum, doch bald werden auch diese Überreste einer erfolgreichen Vergangenheit abgetragen sein. Dann wird nichts mehr an den erfrischenden Fußball der Netzers, Wimmers und Heynckes aus den siebziger Jahren erinnern. Die aktuellen Fußballer des fünffachen deutschen Meisters Borussia Mönchengladbach, die ein paar Kilometer südlich im schmucken Borussia-Park kicken, jedenfalls gewiss nicht. Zum zweiten Mal wird Gladbach aus der Bundesliga absteigen, vielleicht schon an diesem Wochenende, sonst eben am 32. oder 33. Spieltag. Alles andere wäre genau so wahrscheinlich, als würde sich über Nacht das Bökelbergstadion wieder aus seinen Trümmern erheben.
Der Fan leidet, der Abstieg schmerzt, aber er gehört dazu
Abstieg schmerzt. Nichts hasst der Fußball-Fan mehr als das Eingeständnis, dass "sein" Verein nicht mehr dazugehören darf, dass er irgendwie minderwertig ist. Außerdem ist die ganze Sache eine quälende Angelegenheit. Über Wochen bangt man dem nächsten Spiel entgegen, rechnet, um sich die Zeit zu vertreiben, die Tabelle rauf und runter. Nur um am Wochenende festzustellen, dass mal wieder die schlimmstmögliche Variante eingetreten ist. Andererseits: Abstieg gehört dazu. Verächtlich blickt der Fußball-Fan auf Sportarten, in denen Geschäftemacher aus den obersten Ligen geschlossene Gesellschaften gemacht haben. Richtiger Sport ist das nicht, beim richtigen Sport ist Scheitern inklusive. Aber die Trauer ist am Ende doch größer, als man vorher wahrhaben will.Vom Uefa-Pokal geträumt, in der 2. Liga aufgewacht
In Mönchengladbach ist das nicht anders. Eine "Mischung aus Wehmut und Zorn" hat Thomas Weinmann (45), Fan-Betreuer der Borussia, bei den Anhängern des Klubs ausgemacht. "Die meisten verstehen nicht, dass man mit so einer Mannschaft absteigen kann." Doch, man kann, "weil sie kein Team gewesen ist, genauso wie 1999", sagt Weinmann. Da hat sich Gladbach mit am Ende 21 Punkten und 79 Gegentoren noch katastrophaler präsentiert, trotz großartiger Fußballer wie Sebastian Deisler, Patrik Andersson oder Robert Enke. Auch in dieser Saison hat die Borussia vom Uefa-Pokal geträumt und ist in der 2. Liga aufgewacht. Die glorreiche Vergangenheit, personifiziert von Ex-Trainer Jupp Heynckes, ist längst zur Last geworden. Diese Erkenntnis verstärkt den Schmerz. Immerhin muss man nicht so lange leiden wie die Fans von zwei weiteren Klubs, die vom Abstieg wohl erst am letzten Spieltag erfahren werden.Abstiegskampf ist auch eine Angelegenheit der Fans
Weinmann trägt den Spitznamen "Tower", weil er von großer Statur ist. Das trifft sich gut, denn jetzt brauchen die Fans Leute, an denen sie sich aufrichten können. Dass sein Job auch etwas von Seelsorge hat, streitet "Tower" Weinmann nicht ab. "Ich sage halt: Wir steigen nicht ab, wir wechseln nur die Liga." Dann zählt er alles auf, was einen echten Gladbach-Fan trösten kann: Dass man den Schnitt in der sportlichen Leitung bereits getan habe. Dass Trainer Luhukay, Sportdirektor Ziege und die anderen Mitglieder des jungen Kompetenzteams unbelastet, engagiert und wirklich froh seien, bei der Borussia arbeiten zu dürfen. Dass die Borussia ein eigenes Stadion besitze und nicht Mieter sei wie etwa die Kölner - und so weiter. Trost ist gefragt, und Thomas Weinmann hat ihn parat. Der Abstieg nimmt die Fans auch deshalb so mit, weil der Abstiegskampf heutzutage beileibe nicht nur eine Sache der Mannschaft ist. "Die Fans haben alles gegeben, leider kam von den Spielern nichts zurück", sagt Weinmann, als hätten die Profis die großartigen Flanken aus der Nordkurve nur nicht verwandelt. Immerhin haben die Anhänger in den vergangenen Wochen eifrig "Ein Team"-Schilder in die Luft gehalten, haben am "Flagg-Day" Fahnen geschwenkt und fast nie gepfiffen, was schon arger Selbstbeherrschung bedurfte.Erst nach dem 0:1 am vergangenen Sonntag in Hannover kippte die Stimmung, wurden die Spieler beschimpft und mit Bierbechern beworfen. Beim Spiel gegen Stuttgart am Samstag wird die Atmosphäre deutlich reservierter sein als bei den vergangenen Heimspielen. "Die Leute werden noch alle hingehen, aber erst einmal gucken, wie sich die Mannschaft präsentiert", sagt Weinmann. Konkrete Aktionen seien nicht geplant.Abstiegsschmerz
Entjungfert: Kann man sich an Abstiegsschmerz gewöhnen? Ein bisschen schon, sagt Fanbeauftragter Thomas Weinmann. "Ich spüre bei mir selbst, dass ich damit gelassener umgehe. Es sei ja nicht das erste Mal: "Wir sind gewissermaßen schon entjungfert", bemerkt der Fan-Beauftragte. Humor hilft, Erfahrung auch: "Der Kollege in Bochum hat im Abstiegskampf die Ruhe weg", staunt Weinmann. So abgebrüht ist er selbst nun auch wieder nicht. Aber der VfL Bochum ist bereits fünfmal abgestiegen. Als Vorbild taugt das nicht.