Liga-Check 15/16 Leverkusen: Schmidts Jäger mit neuem Revierchef

Leverkusen. Im Stadion hängen nun die großen Momente der Vergangenheit. Mit Rüdiger Vollborn beim Uefa-Cup-Sieg zum Beispiel, 1988 war das, Gegner: Espanyol Barcelona. Bayer 04 Leverkusen einigt sich auf seine Geschichte.

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Tradition, Emotion — der Club arbeitet immer intensiver an seiner Außendarstellung. Die Konkurrenz der Westclubs in der Nachbarschaft ist gewaltig. In der Gegenwart formt Bayer04 ein Team, das höchsten Ansprüchen genügen dürfte.

Weniger den Verein als die Mentalität seiner Spieler und die taktische Ausrichtung der Mannschaft. Schmidt-Fußball ist physischer Höchstanspruch, Ball und Gegner werden gejagt. Nicht umsonst ließ sich der Sauerländer im 11-Freunde-Magazin als Jäger auf dem Hochsitz ablichten. Zäh vorbereitendes Ballbesitzspiel war lange verpönt — und wurde erst dann phasenweise eingebaut, als es Gegentore hagelte und Schmidt ob des Missverhältnisses von Aufwand und Ertrag zeitweise nicht mehr gefeiert, sondern hinterfragt wurde. Kein Zweifel: Mannschaft wie Trainer haben sich in der vergangenen Saison weiterentwickelt. Und sie haben zusammen die Kurve bekommen, das eigene Spiel auch erfolgreich zu gestalten.

Sie ist Geschichte. Dass es den Spielern in Leverkusen ganz gut geht, mag noch stimmen. Wer aber mit dem aufwendigen Training oder der geforderten Präzision im Gesamtsystem Probleme hat, hat auch schnell eines mit Schmidt. Der selbstbewusste Coach hat zügig verstanden, dass er sein System kommunizieren muss, um den Aufwand zu rechtfertigen. Das haben Trainer der Vergangenheit schon mal verpasst und waren bei den Spielern schnell unten durch. Ein Beispiel: Bruno Labbadia. Schmidts Lieblingssatz spricht viel für die veränderte Mentalität: „Ich glaube, die Spieler haben richtig Lust darauf, Ball und Gegner zu jagen.“

Tatsächlich sind da Spieler gegangen, die Leverkusen jahrelang geprägt haben — und das Sprachrohr des Kaders waren. Platz geschaffen ist nun für andere, und es braucht wenig Fantasie zu sehen, dass vor allem für einen Raum geschaffen wurde: Christoph Kramer, der seinen weltmeisterlichen Glanz abstrahlen soll auf Leverkusen und bei Schmidt als Führungsfigur eingeplant ist. Das fußballerische und emotionale Ausmaß, mit dem sich der Publikumsspieler Kramer bei seinem neuen und zugleich alten Verein (war von Leverkusen an Bochum und Gladbach ausgeliehen) einzubringen gedenkt, wird den Erfolg des Bayer-Teams mitentscheiden.

Könnte man meinen und ist auch Tenor des Managements: Wie verrückt baggert Leverkusen am chilenischen Mittelfeldspieler Charles Aranguiz, der mit dem laufaufwendigen Stil des Copa-America-Siegers Chile wie prädestiniert scheint für Leverkusen. Der 26-Jährige soll von Inter Porto Alegre kommen und könnte ein echter Top-Spieler werden. Das mögen auch Stefan Kießling und Admir Mehmedi (kam aus Freiburg) im Angriff sein, aber trotz einer Vielzahl von offensiven und variabel in die Spitze stoßenden Mittelfeldspielern dahinter, will Bayer 04 noch einen Stürmer holen. Zumal über die Champions-League-Play-offs - der Gegner wird heute in Nyon ausgelost, es wird entweder Lazio Rom, AS Monaco, FC Brügge, Rapid Wien oder ZSKA Moskau sein - noch der Sprung in die Gruppenphase gelingen könnte — was sowohl finanziell als auch sportlich wertvoll wäre. Auch wenn Geschäftsführer Michael Schade immer wieder betont, die Planung sei „mittelfristig ausgelegt“.

Könnte man meinen, immerhin ist der neue 19 Jahre alte Abwehr-Hüne Jonathan Tah das dritte hochveranlagte HSV-Talent nach Heung-Min Son und Hakan Calhanoglu, das Hamburg gegen Leverkusen austauscht. Geschuldet ist das aber weniger einer Antipathie für Hamburg (wobei sich die beim 1:0-Sieg des HSV im November 2014 in einem Spiel von übertriebener HSV-Härte begründen ließe), sondern Leverkusens Weitsicht: Junge Spieler weiterentwickeln, sportlich wie später auch finanziell profitieren — das macht kaum jemand besser als Bayer 04. Mit dem HSV hat das ganz wenig zu tun.