Psychologie im Abstiegskampf: „Düsseldorf hat es am schwersten“

Der Sportpsychologe Lothar Linz erklärt, warum der Abstiegskampf auch Kopfsache ist.

Düsseldorf. Zwei Spieltage sind in der Fußball-Bundesliga noch zu absolvieren, und vier Mannschaften kämpfen um den Klassenerhalt: Werder Bremen, Fortuna Düsseldorf, der FC Augsburg und 1899 Hoffenheim.

Es geht um Rettung, Relegation oder Abstieg. Aber es geht auch um Versagensangst, Mut, Hoffnung. Denn im Abstiegskampf agieren Menschen. Neben fußballerischem Können kommt es auch auf die Leistung im Kopf an. Sportpsychologe Lothar Linz erklärt die Rolle der Psyche im Abstiegskampf.

Herr Linz, worauf kommt es psychologisch bei einem Team im Abstiegskampf an?

Linz: Für Krisensituationen gilt generell: Man braucht eine Hierarchie, eine klare Führungsstruktur. Wenn jetzt noch diskutiert wird, das funktioniert nicht. Es muss geklärt sein, wer Verantwortung übernimmt. Ein wichtiger Faktor sind dabei natürlich Führungsspieler.

Trainer, Funktionäre und Spieler betonen immer wieder, man schaue ja nur auf sich, nicht auf die Konkurrenz. Aber geht das überhaupt?

Linz: Das geht natürlich nur eingeschränkt. Der Satz ist aber nach wie vor richtig. Denn auf die Ergebnisse der anderen hat man keinen Einfluss. Rechenspiele bringen überhaupt nichts. Spieler werden dauernd angesprochen: „Jetzt müsst ihr aber punkten.“ Doch Punkte sind das Ergebnis von 90 Minuten Arbeit, von hunderten Zweikämpfen. Der Fokus muss darauf liegen, wie die Mannschaft Erfolg haben kann.

Wie schafft man es als Spieler, nicht mit Angst in die letzten beiden Spiele zu gehen?

Linz: Kein Spieler wird die Angst ganz ablegen können. Das ist aber völlig normal. Der Abstiegskampf ist eine bedrohliche Situation, da geht es ja auch um die wirtschaftliche Existenz des Vereins und die Zukunft der Spieler. Die Kunst ist, mit dieser Angst richtig umzugehen. Die Angst wird und darf auf dem Platz dabei sein, doch sie darf nicht die Aufmerksamkeit der Spieler fesseln.

Wie kann ein Trainer seine Spieler auf den Umgang mit der Angst vorbereiten?

Linz: Der Trainer vermittelt das schon allein durch das, was er vorlebt. Aus der Zeit als Dieter Hecking mit Alemannia Aachen im Europapokal spielte, ist ein Zitat aus der Kabine überliefert. Hecking sagte: „Macht endlich Fehler, aber traut euch was.“ Er lebt da vor: Ich bin euch nicht böse, wenn ihr Fehler macht, aber ich will, dass wir mutig spielen.

Enttäuschte Erwartungen in Bremen, eine grandiose Aufholjagd vom FC Augsburg, Chaos in Hoffenheim und lange trügerische Zufriedenheit bei der Fortuna. Welche Mannschaft hat es vor dem Hintergrund ihrer Saisongeschichte am schwersten?

Linz: Düsseldorf. Es tut mir leid, dass ich das so deutlich sagen muss. Nach Punkten hat natürlich Hoffenheim die schlechteste Ausgangslage, psychologisch aber ganz klar Düsseldorf.

Warum?

Linz: Weil Augsburg in letzter Zeit Erfolgserlebnisse hatte und mit einer positiven Grundstimmung in die Spiele gehen kann. Jeder Platz besser als der 17. wäre für Augsburg schon ein Gewinn. Auch Hoffenheim kann sich nur noch verbessern. Und eine Gewinnsituation ist immer leichter. Einen Verlust zu vermeiden ist eine psychologisch schwierigere Situation, als etwas gewinnen zu können.

Und Fortuna kann nur noch verlieren?

Linz: Extrem ungünstig für Düsseldorf ist, dass die Fortuna die schlechteste Entwicklung aller Beteiligten hinter sich hat. Dazu kommt fehlende Qualität. Die Mannschaft hat in der Hinrunde, getragen von Euphorie, über ihre Verhältnisse gespielt. Jetzt ist die Euphorie verloren.

Werder hat vielleicht noch mehr zu verlieren als Fortuna.

Linz: Bremen hat aber den Vorteil, dass die Mannschaft um ihre Fähigkeiten weiß. Die Bremer wissen, dass sie eigentlich eine bessere Mannschaft sind, das kann in entscheidenden Momenten ein Vorteil sein.

Was kann ein Trainer machen, um Negativserien wie die in Düsseldorf zu durchbrechen?

Linz: Manchmal muss ein Trainer einfach etwas anders machen, um gewisse Muster zu durchbrechen. Um das Gefühl zu geben, es passiert etwas.

Wie mit der Mannschaft ein Eis essen zu gehen oder ein Besuch im Hochseilgarten?

Linz: Ja, einen anderen Weg zum Stadion fahren oder in ein anderes Hotel gehen — banale Dinge. Manchmal hilft das. Das andere ist, wie der Trainer der Mannschaft den verlorenen Glauben an sich selbst zurückgeben kann.

Und wie geht das?

Linz: Das geht über Erfolgserlebnisse. Die kann man schaffen. Durch Spielformen im Training, bei denen viele Tore fallen, oder ein lockeres Fangenspiel, damit Spaß reinkommt. Ein Testspiel gegen einen Bezirksligisten wäre weniger sinnvoll, das würde ein Krampf. Es kann aber auch etwas ganz Externes sein, was mit Fußball nichts zu tun hat.

In Düsseldorf gab es heftigen Zoff im Training. Wie sind diese Vorfälle zu deuten?

Linz: Es ist zumindest ein Zeichen, dass man sich noch nicht aufgegeben hat, dass nicht jeder einfach sein Pensum herunterspult. Aber ein gutes Zeichen ist es nicht. Hat sich denn bei Bayern oder Dortmund in den letzten Wochen jemand im Training in die Haare bekommen? Das passiert, wenn es nicht gut läuft. Das positiv auszulegen, halte ich für Rhetorik.

Die vier Trainer der Abstiegskandidaten bemühen sich um Gelassenheit. Ist das richtig?

Linz: Ja. Der Druck ist doch schon groß genug. Da haue ich als Trainer nicht noch drauf, damit die Situation explodiert. Das würde ich als Trainer genauso machen.