Von Straßburg bis Speyer Der lange Abschied von Helmut Kohl
Straßburg/Ludwigshafen/Speyer (dpa) - Mehr als zwölf Stunden dauert die letzte Reise von Helmut Kohl.
Gegen sieben Uhr am Morgen wird sein Sarg in Ludwigshafen-Oggersheim abgeholt, per Auto und Hubschrauber nach Straßburg und zurück in die Heimat gebracht, auf ein Schiff verladen, um schließlich Speyer und damit die Grabstätte zu erreichen. An den Stationen dieser Reise versammeln sich neben hochrangigen Politikern auch viele Bürger, um Kohl die letzte Ehre zu erweisen.
In STRASSBURG, der ersten Station, wehen die Flaggen auf halbmast. Die Soldaten machen behutsame, kleine Schritte. Vier an jeder Seite. Vorsichtig setzen die Offiziere des Wachbataillons der Bundeswehr den Sarg in der Mitte des EU-Parlaments ab. Er ist eingehüllt in die Europa-Flagge mit den gelben Sternen. Das Uni-Orchester der Stadt stimmt den Trauermarsch von Georg Friedrich Händel an.
Der Tag wird in die Geschichte eingehen. Es ist der erste Trauerakt der Europäischen Union für einen großen Politiker aus ihren Reihen: Für Helmut Kohl, den Altkanzler, Kanzler der Einheit, den großen Europäer. Zahlreiche Staats- und Regierungschefs sind gekommen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Darunter sind viele Wegbegleiter aus seiner langen politischen Karriere. Einige Male wird es in der eher nüchternen Umgebung des Plenarsaals emotional, etwa als der frühere US-Präsident Bill Clinton redet. Und als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Witwe Maike Kohl-Richter sagt, diese habe den Altkanzler „voller Hingebung und Liebe begleitet bis zuletzt“. Da muss Kohl-Richter schlucken.
Am Stadtrand von LUDWIGSHAFEN landet um kurz nach 14.00 Uhr der erste Hubschrauber auf dem Gelände der Autobahnpolizei Ruchheim. Als Kohl Kanzler war, landete dort auch immer sein Hubschrauber auf dem Heimweg in den nahen Stadtteil Oggersheim. Nun startet von diesem Platz ein Konvoi aus mehreren Fahrzeugen, darunter der Leichenwagen mit dem Sarg, in Richtung Innenstadt.
Dort stehen die Menschen stellenweise in mehreren Reihen am Straßenrand, um Abschied von „ihrem“ Altkanzler zu nehmen, der Zeit seines Lebens in der zweitgrößten rheinland-pfälzischen Stadt mit ihren heute rund 165 000 Einwohnern wohnte. Menschen aller Altersklassen sind gekommen, auch viele junge Leute, doch am Ende schätzt die Polizei ihre Zahl insgesamt auf lediglich 1000. Viele filmen und fotografieren mit dem Handy.
Der Himmel ist mit dunklen Wolken verhüllt. Die Bürger warten, um einen Blick auf den Leichenwagen zu erhaschen - durch dessen große Seitenscheiben der mit der schwarz-rot-goldenen Fahne bedeckte Sarg zu sehen ist. Gesprächsthema unter den Wartenden ist das Zerwürfnis zwischen Kohls zweiter Frau Maike Kohl-Richter und dem Sohn aus erster Ehe, Walter.
Aber auch die Verdienste des Rekord-Bundeskanzlers: „Wäre er nicht gewesen, würde ich immer noch hinter der Mauer leben“, sagt der 47-jährige Michael Meiser, der nach dem Fall der Mauer vom damaligen Ost- nach Westdeutschland zog. Zügig fährt der Konvoi vorbei, einige Wartende applaudieren und werfen Blumen in Richtung des Leichenwagens, der schon kurz danach Ludwigshafen verlässt und in Richtung Rhein unterwegs ist.
Am Flussufer hebt ein achtköpfiges Ehrenbataillon der Bundeswehr den Sarg aus dem schwarzen Auto und trägt ihn über eine eigens installierte Behelfsbrücke auf das Schiff „Mainz“. Mit dem Boot, das viele Jahre als eine Art Ausflugsschiff für hochrangige Staatsgäste der Bundesregierung diente, war Kohl als Kanzler selbst schon unterwegs gewesen - 1990 mit dem damaligen französischen Staatspräsidenten François Mitterrand. Nun bahren die Soldaten den Sarg auf dem hinteren Teil auf. Dann fährt das Schiff in Richtung SPEYER - in Begleitung mehrere Polizeiboote, auch der Küstenwache.
Am Zielort warten schon mehrere Hundert Bürger. „Danke Helmut. Herzlich willkommen zurück in Speyer“, hat ein 48-jähriger Speyerer mit roter Farbe auf ein weißes Leintuch geschrieben, das er an einer Brücke am Rhein aufgehängt hat. Dazu hat er zwei Herzen gemalt. „Es gibt hier viele in Speyer, die schimpfen über den Trauerakt und sagen, das kostet doch so viel“, sagt der Mann. Doch Kohl habe die deutsche und europäische Einheit gebracht - und das könne man „gar nicht hoch genug hängen“.
Die Speyerer Innenstadt wird schon ab Mittag mehr und mehr abgesperrt. Hubschrauber der Bundespolizei sind am Himmel zu sehen, Polizei und Feuerwehr sind präsent. Um 18 Uhr beginnt im mächtigen romanischen Kirchenschiff des Doms das feierliche Requiem unter Leitung des Speyerer Bischofs Karl-Heinz Wiesemann, die Sitzplätze sind für 1500 geladene Gäste reserviert - darunter viele der nationalen und internationalen Spitzenpolitiker, die schon am Trauerakt in Straßburg teilgenommen haben. Maike Kohl-Richter nimmt an der Seite Bill Clintons Platz. Die beiden Söhne Kohls aus erster Ehe, Walter und Peter, werden bei dem Requiem nicht gesehen. Zu einer Aussöhnung zwischen dem Vater und seinen Kindern ist es bis zuletzt nicht mehr gekommen.
Draußen im Domgarten ist eine Leinwand für die Liveübertragung aufgebaut, es ist windig und es nieselt. Rund 600 Menschen zählt die Polizei am Ende dort. Als erster Zuschauer ist dort schon am Nachmittag Udo Spannenkrebs aus dem sächsischen Hohenstein-Ernsttal (Kreis Zwickau) eingetroffen. Er ist mit dem Motorrad nach Speyer gefahren, um Abschied vom Kanzler der Einheit zu nehmen: „Ich habe Helmut Kohl so viel zu verdanken: Ich bin frei geworden“, sagt der 55-Jährige, der sich eine Deutschland-Fahne über seine Motorradjacke gelegt hat.
Fast zwei Stunden nach Beginn des Requiems findet auf dem Platz vor dem Dom noch ein Ehrenzeremoniell der Bundeswehr statt, die Nationalhymne erklingt. Es regnet nun stärker, die Trauergäste lauschen mit schwarzen Regenschirmen in den Händen. Anschließend fährt die Kolonne mit dem Leichenwagen zur Beisetzung im engsten Familienkreis auf dem nahegelegen Friedhof des Domkapitels, wo sich das Grab Helmut Kohls befindet.