Wann senkt die EZB die Zinsen?

Angesichts der Krise wächst der Druck auf die Notenbanker.

Frankfurt. Wegen der Turbulenzen an den Finanzmärkten fordern immer mehr Politiker und Experten von der Europäischen Zentralbank (EZB) eine baldige Zinssenkung. Die Notenbank hat bislang aber keine Signale gegeben, auf der Sitzung morgen eine geldpolitische Wende zu vollziehen.

Die meisten Volkswirte gehen davon aus, dass der Leitzins für die 15 Euro-Länder unverändert bei 4,25 Prozent bleibt. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet könnte aber eine Senkung für die nächsten Monate in Aussicht stellen. Grund dafür sind die düsteren Aussichten: Die Bankenkrise ist nach Europa übergeschwappt und die wirtschaftlichen Daten für den Euro-Raum verschlechtern sich drastisch.

"Die Wirtschaft im Euro-Raum steht mit einem Bein in der Rezession. Damit steigt der Druck auf die EZB, die Zinsen zu senken", schreibt Christoph Weil von der Commerzbank. Bei niedrigeren Zinsen können Banken sich billiger Geld bei der Notenbank besorgen. Damit kommen Unternehmen und Verbraucher günstiger an Geld, was die Investitionen und den Konsum ankurbeln kann.

Viele Ökonomen rechnen noch in diesem Jahr mit einem kräftigen Zinsschritt nach unten. Allerdings werde die EZB warten, bis die Inflationsrate im Euro-Raum unter drei Prozent gefallen sei. Die EZB strebt eine Inflationsrate von unter, aber nahe zwei Prozent an. Im September hatte sich die Teuerung in der Eurozone um 0,2 Punkte auf 3,6 Prozent abgeschwächt.

Bislang hat die EZB die Finanzkrise mit der großzügigen Bereitstellung von frischem Geld für die Banken bekämpft, so auch in den vergangenen Tagen. Im Gegensatz zur US-Notenbank Fed, die im Verlauf der Finanzkrise die Zinsen massiv gesenkt hatte, hielt die EZB den Leitzins aber seit vergangenem Sommer konstant und erhöhte ihn im Juli wegen der gestiegenen Inflation auf 4,25 Prozent. Diese Strategie gerät nun zunehmend in die Kritik. Viele Ökonomen halten die Wirtschaftsprognosen der EZB für zu optimistisch.

"Was wir aktuell sehen, ist eine systemische Vertrauenskrise im weltweiten Finanzsystem", schreibt der Chefvolkswirt der italienischen Großbank UniCredit, Marco Annunziata. Es gebe erhebliche Gefahren für das globale Finanzsystem. Er forderte die Regierungen der Eurozone auf, ein ähnliches Rettungspaket wie in den USA zu schnüren. Die EZB solle das Paket mit einer schnellen Zinssenkung flankieren.

"Es ist fraglich, ob niedrigere Zinsen etwas bewirken können, weil es sich um eine Vertrauenskrise handelt", sagte dagegen der Chefvolkswirt der Dresdner Bank/Allianz, Michael Heise, in Frankfurt. "Es wäre hilfreich, Ruhe zu bewahren." Zum Jahresende erwartet Heise einen deutlich niedrigeren Leitzins von 3,75 Prozent.