Susanne Linke: Uneitle Hommage an sich selbst
Susanne Linke zeigt „Schritte verfolgen“ auf Pact Zollverein
Essen. Diese Strümpfe. Eher wollene Stiefel, gehäkelt, mit Reißverschluss. Schutz- und Zwangskleidung zugleich. Susanne Linke trägt sie zum weißen Anstaltskittel. Gefangen in der Psychiatrie wie in der eigenen Behinderung, beginnt ein Lebenskampf. "Schritte verfolgen" ist das einzige autobiografische Tanzstück der großen deutschen Solotänzerin und Choreografin.
Mit der Uraufführung 1985 in Berlin kam der Durchbruch. Die mittlerweile 62-Jährige hat das Solo in vier Akten rekonstruiert und drei weiteren Tänzerinnen übergegeben, die ihre früheren Lebensphasen verkörpern. Bei der Premiere von "Schritte verfolgen - Rekonstruktion und Weitergabe 2007" auf Pact Zollverein wurde schnell deutlich, dass aus Linkes Tanz-Autobiografie, die übrigens VA Wölfl ausstattete, eine - uneitle - Hommage an sich selbst geworden ist.
Auch nach 22 Jahren sind Susanne Linkes Schritte zurück in Kindheit, Jugend und Reife bewegend. Das Mädchen, durch eine Erkrankung sprach- und hörbehindert, rennt unermüdlich gegen einen langen Tisch an und wirft die langen Haare zurück. Das Leid des Kindes (Armelle H. van Eecloo), das in einem langen, stummen Schrei gipfelt, wird durch afrikanische Trommeln und unangenehme Eisenbahngeräusche noch verstärkt.
Susanne Linkes Meisterschaft besteht darin, dass sie ihre Geschichte preisgibt, ohne sich selbst preiszugeben: Die Schönheit und Präzision des Tanzes überhöht den erschreckenden Einblick in die Kinderseele. In der überarbeiteten Fassung schreitet die Pionierin des deutschen Tanztheaters im Hintergrund vorüber. Wie ein Schatten verdoppelt sie in einigen Momenten eine Bewegung und verschwindet. Ein schöner Effekt. Nur nimmt er dem Zuschauer den unbefangenen Blick auf das Tanzstück. So realisiert er in jedem Augenblick, dass es sich um eine historische Rekonstruktion handelt.
In der Jugend, Akt zwei, träumt das Mädchen den Traum des hässlichen Entleins vom schönen Schwan. Mareike Franz gibt diesen Part mit anrührender Jugend. Nur vermag sie natürlich so wenig wie Elisabetta Rosso als Erwachsene an die tänzerische Klasse des Originals heranzureichen. Wenn die Linke sich schließlich im vierten Akt im selbstbewussten Hosenanzug selbst tanzt, ist es mucksmäuschenstill im Saal. Ihre Präsenz, die unaufgeregten Schritte, die kleinen, gedrehten Sprünge im typischen Duktus sind noch voller elastischer Spannung und Leichtigkeit. Doch schleicht sich ein ungekanntes Pathos ein. Es gehört nicht hierher. Dafür hat Susanne Linke noch zuviel vor.
Mehr Infos im Internet: www.pact-zollverein.de