Ausstellung in Düsseldorf: Picasso malt gegen den Tod
Düsseldorfs K20 zeigt Gemälde, Grafiken und Skulpturen aus dem Spätwerk des Spaniers.
Düsseldorf. Die volle Wucht trifft einen schleichend, sie steigert sich von Gemälde zu Gemälde, gefolgt von überwältigenden Kaltnadelradierungen und filigranen Skulpturen, alle aus Papier oder Blech, doch so göttlich gestaltet, dass man die ärmliche Materialität ganz übersieht. Pablo Picasso, das größte Genie der Bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts, offenbart uns in dieser grandiosen Schau - der "letzten großen", sagte Armin Zweite gestern, die er hier verantworte -, was es für einen so außergewöhnlichen Menschen bedeutet hat, sich der grausamen Fallhöhe von der Vitalität der Jugend zum Verfall irdischer Endlichkeit bewusst zu werden.
Und wie sich viele im Urteil über diese Kunst irrten! Der fulminante Katalog dokumentiert süffisant, wie grotesk das Urteil des Sammlers Douglas Coopers war ("Schmierereien, ausgeführt von einem rasenden Greis im Vorzimmer des Todes"), dazu die Affronts von Konzeptualisten, des Informel, der Abstrakten. Diese Schau, und das ist das große Verdienst des Kurators und einstigen Picasso-Freundes Werner Spies, zeigt den durch das unerbittliche Verrinnen der Zeit obsessiv gesteigerten Schaffensrausch ohne Nachlassen, Erschlaffen oder verklingender Kraft. Vor allen Dingen behält Picasso den für ihn elementaren Begriff bei: kein Kunstwerk ohne Drama, ohne existenzielle Frage.
Die Ausstellung ist größtenteils chronologisch geordnet. Denn Picasso begann, jedes Werk wie ein Notar zu besiegeln - nicht nur per Schriftzug, sondern auch durch das genaue Datum, was an Paul Klees letzte Jahre erinnert. Picasso war mit seiner dreißig Jahre jüngeren Frau Jacqueline Roques ein letztes Mal umgezogen, ins südfranzösische Mougins ins Atelier Notre-Dame-de-Vie. Da er nun weiß, dass seine Lebenszeit abläuft, ändert er seinen Arbeitsstil radikal: täglich mindestens eine Arbeit, gleich welche. Für ein Gemälde bleibt nicht mehr Zeit als für eine Radierung oder eine Skulptur. Auch eine Leinwand muss sich zufrieden geben: Kein Teil wird priviligiert bearbeitet. Picasso teilt sich in Zeichner und Maler.
Das hat Auswirkungen: Kann er für eine Radierung einen ganzen Tag verwenden, muß er in rasender Eile dieselben zehn Stunden nutzen, ein Gemälde zu vollenden - und bleibe es "unvollendet". Wie es etwa das hochdramatische letzte Gemälde "Die Umarmung" vom 1. Juni 1972 suggeriert. Der obere Teil über der aufgewühlten Szene bleibt weiß. Darunter bricht wie eine Tsunami-Welle das Unheil der Lust über das Gewoge der Leiber herein. Keinerlei Gliedmaßen sind da noch dem einen oder anderen zuzuordnen, es herrscht das Rasen der (menschlichen) Natur, um, wie Werner Spies es formuliert hat, "den Tod zu exorzieren".
Ein rauschhafter Todeskampf ist schließlich auch das großformatige "Der Raub der Sabinerinnen" von 1962, wiederum ein undefinierbares Chaos an Leibern und Körperteilen. Eine gefährliche Todesmähre mit wüsten Nüstern und drohend geblecktem Gebiss schwingt im Haufen der um Hilfe ringenden Sabinerinnen die Sense.
Dabei hat Picasso bei der Auswahl seiner Motive sich souverän auch an Kollegen orientiert, an Manets "Frühstück im Grünen", an Cranach, Delacroix, Velázquez, Poussin, Rembrandt, Raffael und Goya. Es herrschen in den "Jahren von Mougins" zunächst leuchtende Farben: helles oder tiefes Rot, warmes Blau, Safran, Lindgrün, Rosa. Später nehmen grauschwarze Töne zu, und die Figuren werden wie mit dicken schwarzen Planken konturiert. 1968 malt er zweimMal "Venus und Amor", letzterer ein pausbäckiges Kerlchen mit keck gerecktem Penis.
Der intimen Sinnlichkeit gilt die größte Sehnsucht; das verraten noch Motive wie "Maler und Modell", und manchmal, wenn es hoch hergeht, setzt er frech in eine geöffnete Scham ein rotes Ausrufungszeichen. Und auch Gegensätzliches ist da: Zaubert Picasso 1965 noch eine hinreißende, helle Gouache mit einer selig Schlummernden, zeichnen Furcht und Trauer seine zwei Toreros von 1970 und sogar die Flötenspieler. Erschütternd ein "Sitzender Alter" (1971) in all seiner Einsamkeit. Am ergreifendsten dann das Selbstporträt vom 30. Juni 1972, mit riesigen Augen und ausgemergeltem Antlitz: ein Totenschädel.
Werk Picasso hinterlässt über 15 000 Gemälde, Grafiken, Radierungen, Skulpturen von der Rosa und der Blauen Periode über den analytischen und den synthetischen Kubismus.
3.2.-28.5., Kunstsammlung NRW (K20), Grabbeplatz 5, geöffnet di-fr 10-18 Uhr, sa/so/feiertags 11-18 Uhr, jeden 1. Mittwoch im Monat 10-22 Uhr, ab 18 Uhr KPMG-Kunstabend, kostenlose Service-Hotline: 0211/800 8381-000
Tickets: Erwachsene 10 Euro, Familienkarte 22 Euro, empfehlenswerter Audioguide 1 Euro, Ticket-Vorverkauf 11,80 Euro inkl. Karte Verkehrsbund VRR; öffentliche Führungen so 11.30 Uhr, mi 15.30 Uhr, fr (Sonderführungen zu Einzelthemen) 16 Uhr, Familienführungen sonntags 15 Uhr, Vortrag Werner Spies 25.4., 19 Uhr