Größte Beuys-Schau seit langem

Kunst in ihrem gesellschaftspolitischen Kontext

Berlin. Joseph Beuys hat an die revolutionäre Kraft der Kunst geglaubt und auch jedem Menschen eine schöpferische Kraft als Künstler zugestanden. Wie kaum ein anderer Künstler des 20. Jahrhunderts hat er die Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Gesellschaft gespürt und unermüdlich thematisiert, in seinen für viele Zeitgenossen oft rätselhaften Kunstwerken ("soziale Plastiken") oder auch Aktionen.

20 Jahre nach der letzten umfangreichen Beuys-Ausstellung in Deutschland zeigt der Hamburger Bahnhof in Berlin ab Freitag (bis 25. Januar) unter dem Motto "Die Revolution sind wir" eine umfassende Werkschau mit internationalen Leihgaben.

Es ist eine in ihrer Fülle aufregende Schau, die auch die Vielzahl der Materialien und Aktionen des Künstlers plastisch hervortreten lässt. Sie hinterlässt aber auch einen ernüchternden Eindruck, wird doch einer der bedeutendsten Künstler des vergangenen Jahrhunderts auch als ein "Künstler seiner Zeit" deutlich, dessen Werke die Aufregung, die sie einst auslösten, kaum noch ahnen lassen. Umso verdienstvoller ist die Dokumentation der Aktionen des "gesellschaftspolitischen Künstlers" Beuys.

Erstmals wird in einer Ausstellung ein so umfassendes Bild seiner Aktionen, Schriften und Gedanken anhand von Dokumenten, Schriften, Filmen und Fotos präsentiert. Sie umrahmen oder ergänzen die 270 ausgestellten Objekte, Bilder und Installationen, die alle Formen der reichen Kunstproduktion des 1986 im Alter von 64 Jahren gestorbenen Künstlers präsentieren, von der Zeichnung und Skulptur bis zum Environment, dem Film und seinen "Spracharbeiten".

Zu sehen sind sein Spätwerk "Palazzo Regale" mit den goldenen Wandtafeln, einem Rucksack und dem Luchsfellmantel, "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch", "Doppelfond", "Basisraum Nasse Wäsche" und die wuchtigen, mit Filz "geimpften" Basaltblöcke als "Das Ende des 20. Jahrhunderts". Beim Rundgang gilt es die Beuys-Fallen zu beachten: Ein Besen an der Wand ist nicht vergessen worden, sondern gehört zur Kunstinstallation.

Auf vielen Videoschirmen laufen Filme über die oft hitzigen Auftritte des Künstlers, in denen er seine Werke und Kunstauffassung verteidigte. Als er 1983 in einer Diskussion mit Berliner Hausbesetzern den "langen Marsch durch die Institutionen" auch für den Kunstbetrieb reklamierte, bekam er von den jungen Berlinern zu hören: "Käse!" Das sehe man doch auch bei den politischen Parteien: "Nicht die SPD hat den Staat verändert, sondern der Staat die SPD."

Er selber sagte über Besucher seiner Ausstellungen: "Viele schreiben mir, manche beschimpfen mich. Aber sie kommen immer wieder." Als Erlöser hat Beuys sich nie gefühlt, er wollte "nur auf die Möglichkeit verweisen, "dass der Mensch sich selbst erlösen kann". Gewiss aber werden auch heute wieder manche Besucher dieselbe Frage stellen, die schon ein Nachrichtenmagazin 1979 formulierte: "Künstler Beuys - Der Größte - Weltruhm für einen Scharlatan?"