Bundeskunsthalle Marina Abramovic: Primadonna der Performance in Bonn

Die Bundeskunsthalle zeigt die erste Retrospektive über Marina Abramovic in einer spannenden, vitalen Schau.

Die Bundeskunsthalle zeigt am dem 20. April nach eigenen Angaben die größte euroropäische Retrospektive von Marina Abramovic mit Wiederaufführungen verschiedener Performaces.

Foto: Marius Becker

Bonn. Marina Abramovic (71) gilt als Primadonna der Performance. Selbst bei der Pressekonferenz in der Bundeskunsthalle konnte sie es am Donnerstag nicht lassen, sich in Szene zu setzen: Eine schöne, jung gebliebene Frau mit langem Haar meditierte auf ihrem Stuhl, während die deutschen Vokabeln des Generalintendanten Rein Wolf an ihr vorbeirauschten. Seit mehr als 50 Jahren arbeitet sie an der Schnittstelle zwischen Bühnen- und Bildkunst. Was sie von den Akteuren der Gegenwart unterscheidet, ist die spirituelle Botschaft, die sie übermittelt.

Nicht umsonst heißt die grandiose Retrospektive „The Cleaner“, geht es ihr doch um die Reinheit des Geistes und der Seele. „Der Prozess ist wichtiger als das Resultat“, sagte sie bei der Preview.

Wie kann man die Kunst des Augenblicks „ausstellen“? Wie kann man die Momente zwischen dem Performer und seinem Publikum auch den Kunstgängern erfahrbar machen? Durch Videos, Filme, Texte, Bilder, Objekte und eigens von Abramovic und deren Trainerin Lynsey Peisinger ausgebildete Performer. Der Besucher wird ständig mit neuen Konzepten, Akteuren und Aufforderungen konfrontiert.

Die Ausstellung ist eine einzige Inszenierung, dramaturgisch perfekt abgewickelt. Obwohl Abramovic die geborene Pädagogin ist, geht die deutsche Kuratorin Susanne Kleiner indirekt vor. Der Besucher darf diverse Schubladen öffnen und ist erstaunt: Schamanen, Maori-Frauen, die Kaaba von Mekka und ein nackter, kleiner Mann tauchen als Fotos auf. Letzterer steht im Himalaya-Gebirge und meditiert bei minus 20 Grad. Das also ist der Geist, aus dem heraus diese Kunst entstanden ist.

Wie spirituell diese Körperkunst ist, darf jeder am eigenen Leib erfahren. „Ohne Essen werden wir sehr sensibel in unserer Wahrnehmung, im Hören und Fühlen“, erklärt die Künstlerin im Video. Und der Besucher darf im Holzbett mit den Enden aus Quarzkristallen Platz nehmen und versuchen, mit seinen Gedanken klarzukommen. Voraussetzung ist, dass er ruhig bleibt. Nur so lasse sich, weiß sie, die Energie übermitteln.
(Eine Frau liegt in der Ausstellung auf dem Werk ·Bed for Human Use (III)· (2015). Foto: Marius Becker/dpa)

Kein Performer der Gegenwart ist so streng wie sie. Im mittleren Raum wird klar, woher sie das hat. Da zeigt sie sich im bewegten Bild, wie sie auf einem Schimmel zur Musik vom Balkan die Fahne hochhält. Wie nebenbei erscheint ihre Vita. Danach kämpften die Eltern im Zweiten Weltkrieg unter General Tito gegen die Nationalisten. Ihr Vater starb voller Enttäuschung über die politischen Veränderungen im ehemaligen Jugoslawien. Er hatte die Mutter mitten im Krieg kennengelernt, wie sie ohnmächtig zwischen verwundeten Soldaten lag, und auf einem Schimmel ins Krankenhaus gebracht.

Auch Marina spielt gern die Heldin. Berühmt ist ihre Szene, wie sie auf der Biennale in Venedig auf einem Berg von Rinderknochen hockt und das Fleisch abschrubbt. Für diese Arbeit erhielt sie den Goldenen Löwen.

Sie ist Heldin, Schamanin und Pädagogin. Immer wieder doziert sie, über Liebe und Einsamkeit, Stille und Ritus. Von Kompromissen halte sie nichts, weshalb kein Künstler in einen Künstler verliebt sein sollte.

Dennoch: Die besten Szenen der Ausstellung sind diejenigen mit dem deutschen Fotografen und Performance-Künstler Ulay (Frank Uwe Laysiepen, geboren 1943). Von 1975 bis 1988 waren sie zusammen. Ein Liebespaar der Kunst. Immer war der Zusammenstoß einkalkuliert. Sie konnten einander anschreien, giftige Pfeile auf das Herz des anderen richten und lebten doch in trauter Zweisamkeit. Im alten Citroën reisten sie 1977 für drei Jahre durch die Welt, um sich zumindest in den filmischen Szenen zu ohrfeigen, aber auch den Atem des anderen einzuatmen. Schmerz und Schönheit lagen dicht beieinander. „Art must be beautiful“ („Kunst muss schön sein“), schrie Abramovic erstmals 1975 in Kopenhagen und fuhr sich mit Haarbürste und Kamm durch ihr Haar. Nun tut dies ein Double.
(Eine Frau fotografiert eine Re-Perfomance von ·Art Must Be Beautiful, Artist Must Be Beautiful· (1975). Foto: Marius Becker/dpa)

Viele Szenen werden nachgestellt, so dass die These von der Kunst, die zugleich das Leben bedeutet, wie ein fortwährendes Werk erscheint. Abramovic & Ulay haben durch Filme und Videos dafür gesorgt, dass die hohe Zeit der Körperkunst in Erinnerung bleibt.

Die schlanken, schönen, jungen, nackten Menschen, die nun in einem schmalen Durchgang stehen, erinnern an ein Spiel in der Staatsgalerie von Bologna. Ulay, der auch auftauchte, erklärte, was es mit „Imponderabilia“ (Unwägbarkeit) auf sich hat: „Wir standen dicht und nackt beieinander in Bologna, so dass sich die Eintretenden entscheiden mussten, zu wem sie den Blick richteten, während sie sich zwischen uns hindurchschoben. Nach drei Stunden kam allerdings die Sittenpolizei.“ Ulay erwähnt, wie sie vorab im Adamskostüm das Geld beim Direktor eintrieben. „Wir lebten oft von der Hand in den Mund.“ Ulay verschweigt, dass er Geldforderungen von Abramovic in Amerika sogar einklagen musste.

(Eine Frau geht zwischen einer nackten Frau und einem nackten Mann hindurch und ist somit Teil einer Re-Perfomance von ·Imponderabilia· (1997/2017). Foto: Marius Becker/dpa)

Zwei schwarze, mannshohe Vasen gibt es im letzten Teil der Schau. Sie symbolisieren das Ende ihrer Beziehungen. Die eine Vase ist matt, die andere glänzend. Wie riesige Urnen sehen sie aus. Man habe sich einfach auseinandergelebt, sagt er. Marina nahm hinfort den Dialog zum Publikum auf. Ulay erzog zunächst seine Tochter, die er nicht von Marina hat, wie er betont. „Marina wollte ihre Energie nicht mit einem Kind teilen.“ Sie sei eine vollblütige Künstlerin.