Nackt vor der Oper: Spencer Tunick in München

München (dpa) - Der US-Fotograf Spencer Tunick hat schon nackte Menschen vor den Vereinten Nationen versammelt und abgelichtet, vor dem Opernhaus in Sydney, in Düsseldorf und am Toten Meer in Israel.

In diesem Jahr ist die Münchner Oper dran.

Zu den Opernfestspielen und passend zu Richard Wagner plant Tunick eine Installation mit dem Titel „Der Ring“ und fordert die Münchner auf: „Macht Euch nackig.“ Im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa erklärt er, was seine Nackten mit Wagner zu tun haben und warum man an seiner eigenen Arbeit den Freiheitsgrad einer Gesellschaft erkennen kann.

Wie ist es zu Ihrem Projekt bei den Opernfestspielen gekommen? Und was genau hat Wagners „Ring“ mit einer Horde nackter Menschen zu tun?

Spencer Tunick: „Die Oper ist zu mir gekommen und hat mich gebeten, das visuelle Element zum diesjährigen "Ring" zu sein. Es gab keine wirklichen Vorgaben, aber der "Ring" hat Elemente, mit denen ich arbeiten wollte. Das Feuer aus dem Drachenschlund, der tatsächliche Ring als solcher. Ich wollte immer etwas kreisförmiges aus Körpern formen und hatte ein ähnliches, ringförmiges Projekt auch schon einmal für die Vereinten Nationen geplant, das aber nie in die Tat umgesetzt wurde, weil alle Mitgliedsstaaten darüber hätten abstimmen müssen. Ich wünschte, sie hätten das getan, aber die Abstimmung fand nie statt und die UN konnten das Projekt nicht finanzieren.“

Wie ist ihr Verhältnis zu Richard Wagner und seiner Musik?

Spencer Tunick: „Ich habe als Kind Wagner im Orchester gespielt. Ich war erster Klarinettist bei "Lohengrin", kannte also Wagners Musik, aber nicht wirklich die Geschichte, den Mann, den Konflikt und die Kontroversen, die es rund um seine Person gibt. Diese Dualität interessiert mich wirklich. Wann immer ich die Chance habe, in Deutschland zu arbeiten, ergreife ich sie. Ich liebe die Deutschen, aber gleichzeitig bin ich von der Vergangenheit entsetzt. Ich will mich mit der Geschichte dieses Landes auseinandersetzen.“

Wie viele Menschen brauchen Sie für dieses Projekt?

Spencer Tunick: „Mehr als 1000. Wir suchen ganz normale Leute, keine Nudisten. Studenten, Musiker, Bibliothekare, Maurer, kommt und posiert für mich! Nudisten, bleibt zu Hause!“

Was haben Sie denn gegen Nudisten?

Spencer Tunick: „Ich mache nur Spaß. Ich will nur, dass die Leute wissen, dass es ganz normale Leute sind, die meine Arbeit formen und dass nur 0,00001 Prozent Nudisten dabei ist. Es sind Leute, die sich für zeitgenössische Kunst interessieren und neue Wege suchen, über sich selbst und ihren Körper nachzudenken. Darum will ich so viele aufgeschlossene Menschen wie möglich ermutigen, mitzumachen.“

München gilt nicht unbedingt als die aufgeschlossenste Stadt der Welt...

Spencer Tunick: „Ich hoffe, dass München sich vielleicht anstrengt, mehr Menschen für das Bild zusammen zu bringen als für mein Projekt in Düsseldorf. Dieser Wettstreit zwischen den Städten könnte helfen. Los München, Tunick is in Munich - macht Euch nackig.“

Was passiert, wenn niemand auftaucht?

Spencer Tunick: „Das wird nie passieren.“

Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, immer wieder nackte Menschenmassen zu fotografieren?

Spencer Tunick: „Ich habe in den 1990er Jahren angefangen, einzelne nackte Menschen auf der Straße zu fotografieren. Und mit der Zeit wollten immer mehr Leute für mich posieren. Ich wollte aber nicht mein ganzen Leben damit verbringen. Dann habe ich mich irgendwann entschieden, alle gleichzeitig zusammen vor den Vereinten Nationen zu fotografieren. Ich weiß nicht, warum ich mich ausgerechnet für so einen schwierigen Ort entscheiden musste. Aber die Polizei stand so unter Schock, dass ich das gemacht habe, dass sie mir tatsächlich geholfen und den Verkehr umgeleitet hat. Ich bin nicht verhaftet worden. Heute ist es so, dass die Regierungen mich unterstützen. Keine Regierung will diejenige sein, die mich nicht in ihrem Land haben will. Damit würde man nämlich wirklich Nein sagen zur Kunst und zum Körper in der Öffentlichkeit.“

Das war ja nicht immer so...

Spencer Tunick: „Ich muss das präzisieren: Keine offene und aufgeschlossene Gesellschaft will mich und meine Arbeit ablehnen. Natürlich gibt es auch andere Regierungen. Als ich in Israel arbeiten wollte, hat der religiöse Teil in der Regierung gesagt, man müsse diesen abscheulichen Akt unter allen Umständen stoppen - während man gleichzeitig von Seiten des Tourismus versucht hat, uns zu helfen. Es war sehr wichtig, dass sie betont haben, dass Israel kein Gottesstaat ist, sondern eine Demokratie.“

Würden Sie so weit gehen, den Umgang mit ihrer Arbeit als Indikator für die Offenheit einer Gesellschaft zu verstehen?

Spencer Tunick: „Ja, ich denke schon. Ich glaube, dass die Regierungen, die mich in ihrem Land arbeiten lassen, zumindest halbwegs auf dem richtigen Weg sind und dass es da einen Hoffnungsschimmer gibt. Respekt für den menschlichen Körper geht Hand in Hand mit Menschenrechten und Redefreiheit.“

Gibt es Orte auf der Welt, an denen Sie nicht arbeiten würden?

Spencer Tunick: „Ich würde in keinem muslimischen Land arbeiten. Sie sind noch nicht bereit dafür. Vielleicht in 400 Jahren. Ich will ja auch niemandem zu nahe treten. Aus Respekt vor ihrer Kultur würde ich das einfach nicht tun.“

Interview: Britta Schultejans, dpa