Bright Eyes: Babylonisches Stimmengewirr

Die Zeiten als Wunderkind sind vorbei, dafür ist Conor Oberst von Bright Eyes zu alt. Die Zeiten der grandiosen Songs aber gehen auf „Cassadaga“ weiter.

<strong>Düsseldorf. Nein, ein Sonnenschein ist Conor Oberst noch immer nicht. Als rastloser Suchender und musikalisches Genie ist der gerade mal 27-Jährige seit nunmehr 13 Jahren und fünf Studio-Alben unterwegs, seinen Dämonen in schwermütigen Texten und einsamen Melodien zu begegnen. Immer wieder zerrt er sie aus seinem tiefschwarzen Inneren, das nur von der unglaublichen Musikalität und Kreativität angestrahlt zu werden scheint, und wird sie doch nicht los. Auf seinem neuen Album "Cassadaga" sucht der Wunderknabe aus Omaha/Nebraska Schutz und Antworten in der Spiritualität. Benannt nach einer esoterischen Gemeinde in Florida, in der Oberst selbst einige Zeit verbrachte und sich die Zukunft voraussagen ließ, ist "Cassadaga" Sinnbild für Selbsterfahrung und -findung wie auch der unzähligen Stimmen in ihm. Fast jeder Mensch in diesem Ort sei ein Medium, das mit den Seelen Verstorbener kommunizieren könne, sagt Oberst. Und so klingt der Anfang des Openers "Clairaudients" wie ein babylonisches Stimmengewirr. Von "California, Nebraska, South-Dakota, New York, . . ." ist die Rede, bevor Streicher und Bläser wie zu einer Orchesterprobe anheben und Conor Oberst mit seiner gespenstischen musikalischen Reise beginnt.

Oberst inszeniert Tsunami, Hurricanes, Krieg und Terror

Oberst besingt Gott und Teufel, psychedelische Engel und zynische Heilige, Pyramiden, Totenmasken, die Ewigkeit und beschwört die Winde der Apokalypse. Er inszeniert Tsunami, Hurricanes, nahende Klimakatastrophe, Krieg und Terror als Vorboten des Untergangs: Die USA als sündige Hure Babylon und die Bright Eyes als Engel der Apokalypse. "Die biblischen Referenzen waren Ausgangspunkt", verrät der große Junge mit den traurigen Augen, "die alten Bilder haben mir gefallen, und an der aktuellen Weltlage kommt man nicht vorbei, wenn man Songs schreibt. Leider."

Conor Oberst scheint jede Wendung, jedes Wort umzudrehen und nach Sinn zu durchstöbern, jede Maske anzuprobieren und jedes musikalische Genre auszutesten. Manischer Folk wechselt mit Country-Balladen, Wall-of-Sound-Bombast, World Music, Post-Rock und fast Kammermusikalischem. Er sucht bei der Liebe, in der Religion, im Fatalismus und bei seinen musikalischen Ahnen. Aber nach was? "Weiß nicht. Nach einem Sinn oder Zuhause vielleicht", überlegt der Melancholiker.

Conor plagen Einsamkeit und Depressionen, Zukunft und Vergangenheit machen ihm Angst. Nur in der Musik scheint er vorübergehend befreit, was seine Produktivität enorm steigert, sodass er 2005 sogar zwei Alben gleichzeitig auf den Markt bringt. Das eine, "Digital Ash in a Digital Urn", zeugt von seiner unbändigen Experimentierfreudigkeit, das andere, "I’m wide awake, it’s Morning", darf man als grandioses Alterswerk bezeichnen.

Highlights: Mit "Lime Tree" ist den Bright Eyes ein erschütternder Song gelungen. Die Gitarren plinkern, die Stimme hallt und die Streicher heben bedrohlich an. "Make a plan to love me" ist melodieselig an der Grenze zum Kitsch. "No one would Riot for less" darf man sicherlich zu Obersts schönsten und düstersten Liebesliedern zählen.