Premiere von Georg Büchners Klassiker „Woyzeck“ in Düsseldorf True Crime als stilisiertes Tanztheater
DÜSSELDORF · „Woyzeck“ und seine Marie, der Tambourmajor, der Hauptmann und der Doktor, der mit Woyzecks Gesundheit herum experimentiert: Sie alle laufen in der neuen Düsseldorfer Inszenierung um eine Herberge herum, schleichen oder rennen.
Permanent in Bewegung sind die Protagonisten des Sozial-Krimis von Georg Büchner um Franz Woyzeck – eines historisch überlieferten Frauenmörders.
Vor 200 Jahren wurde der arbeitslose „Perückenmachergesell“ Johann Christian Woyzeck hingerichtet, weil er die Witwe Johanna Christiana Woost (Büchner nennt sie Marie) erstochen hatte. Aus Eifersucht. 1836 machte Büchner aus diesem „True Crime“ das Drama, das Luise Voigt und die Choreographin Minako Seki im Düsseldorfer Schauspielhaus jetzt als gewagte Mischung aus Sprech- und Tanztheater und Kino herausgebracht haben. Streng reduziert und extrem stilisiert, in Anlehnung an ostasiatisches Tanztheater.
Nur selten lässt Bühnenbildnerin Natascha von Steiger die große Drehbühne stillstehen. Auch das Haus – ein quadratischer Kubus mit japanischen Schiebetüren und lichtdurchlässigen Wänden – strahlt Unruhe aus, wird stetig hoch- und runtergefahren. Was hinter den vier Wänden geschieht, sieht man wie in einem Kinofilm, der auf die transparente Wand projiziert wird. Wenn das Haus hochfährt, öffnet sich die Unterwelt, in der der selbstgefällige Doktor (Meister der Übertreibung: Yascha Finn Nolting) wortreich und mit weit ausholenden Gesten seine wissenschaftlichen Thesen über seinen „interessanten“ Fall Woyzeck ausbreitet. Der Patient indes weiß nicht, was mit ihm geschieht, läuft dem Arzt hinterher und fragt gequält: „Herr Doktor, wie schaue ich aus?“
Dann wieder wankt Woyzeck – Sebastian Tessenow liefert eine berührende Charakterstudie – oberhalb des Hauses wie auf einem Schiffsdeck, sucht Halt und droht ab- und auszurutschen. Tessenow verausgabt sich, ist ständig unter Strom, zittert und zappelt mit Armen und Beinen, schlackert und schlottert.
Weniger intensiv gezeichnet sind Marie (Cathleen Baumann), ihre Tochter und Großmutter. Die Frauen werden ins Groteske überspitzt. Alle in langen Mähnen und mit weiß geschminkten Gesichtern, die wie Marionetten ausschauen. Plötzlich erstarren sie wie in einem Filmstill. Auf Knopfdruck setzen sie sich erneut in Bewegung. So eilen die Psycho-Bilder mit wenig Büchner-Text in knapp 90 Minuten vorüber. Untermalt von perkussiven Sounds oder einer dumpfen, streckenweise dröhnenden Geräuschkulisse (Friederike Bernhardt).
Das Gift, das Seele und Körper des Protagonisten zuerst verunsichert, sich dann allmählich aber wie ein mörderischer Virus ausbreitet, heißt Eifersucht – auf den Tambourmajor, der mit Marie auf die Party-Pauke haut. Man kreischt und geriert sich als aufgekratztes Amüsier-Duo. Grotesk überspitzt wie so manches.
„Er sieht wieder so verhetzt aus.“ Dieses Zitat über die Titelfigur zieht sich wie ein Refrain durch den Abend und betont, wie Voigt ihre tanztheatralische Performance auf Woyzecks innere Kämpfe verdichtet. Voigt entblättert, wie eine Analytikerin, das Innenleben des harmlosen, ursprünglich liebevollen Woyzeck, der zum Täter wird.
Immer nervöser wird er, weil er durchschaut, dass „seine“ Marie sich mit dem Major herumtreibt. Ein Kabinettstück wie in einem Psychothriller liefern Tessenow und Thiemo Schwarz (Hauptmann) in der Barbierszene. Da schäumt Woyzeck das Kinn des Hauptmanns zunächst ein, um sich dann mit blitzend scharfer Rasierklinge seiner Kehle zu nähern. Die beiden führen einen Zweikampf aus (in Zeitlupentempo), ohne dass Blut fließt. Wenn Woyzeck, der eben noch naiv gutmütig Maries Arm gestreichelt hat, im Schlussbild immer wieder auf sie einsticht – dann spritzt zwar Blut. Aber nur auf der Leinwand. Beklommener, dann herzlicher Applaus.
Fazit: True Crime des frühen 19. Jahrhunderts als Psycho-Sozial-Thriller und extrem stilisiertes Tanz- und Sprech-Theater. Buh- und Bravorufe.
Vorstellungen: 14., 29. Feb., 5., 10., 22. und 24. März.