Meinung Darum ist Steinmeiers Botschaft zu Weihnachten richtig

Meinung | Düsseldorf · Zu Weihnachten wendet sich der Bundespräsident mit einem Auftrag an die Bürger. Recht hat der Mann - ein Kommentar.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Aufzeichnung der Weihnachtsansprache.

Foto: dpa/Annegret Hilse

Wir alle sollten mehr mit Menschen sprechen, die nicht unserer Meinung sind – so formuliert es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Weihnachtsansprache. Recht hat der Mann. Tatsächlich sind wir dabei, das Streiten zu verlernen. Nicht der respektvolle Umgang mit dem Andersdenkenden leitet unser Handeln, sondern die Verachtung für alle, die nicht so sind wie wir selbst. Das ist auch möglich geworden, weil die sogenannten sozialen Netzwerke dem Hass eine Plattform geben. Die neuen Medien beschleunigen auf nie dagewesene Weise, dass die Gleichgesinnten nur noch untereinander über andere reden. Und zwar ohne Hemmungen, immer radikaler und voller Hass. Wir bewegen uns in Blasen des eigenen Selbstverständnisses. Die Fähigkeit zum Kompromiss, also das Fundament jeder Demokratie, wird nicht geschätzt, sondern verhöhnt.

Noch scheint die Spaltung der Gesellschaft in Deutschland weniger tief als anderswo. In Frankreich gibt es brennende Barrikaden, in den USA unüberbrückbare politische Gräben, Großbritannien ist nach zweieinhalb Jahren Brexit-Debatte zerrissen, in Polen, Ungarn und Italien feiert ein ausländerfeindlicher Nationalismus Erfolge. Was ist da los? Warum wächst trotz bester ökonomischer Bedingungen die Gruppe derer, die sich abgehängt, ausgegrenzt und vergessen fühlen? Warum scheint das Aufsteiger-Versprechen, es mit Fleiß und Ausdauer in der Gesellschaft ganz weit bringen zu können, nicht mehr zu stimmen? Einfache Antworten auf diese Fragen gibt es nicht.

Aber es gibt Erklärungsversuche. Zum Beispiel bei der Angst vor Ausländern. Es reicht nicht, das Fremde pauschal als multikulturelle Bereicherung zu feiern, wenn die Mehrzahl der Kinder in den Kitas und Grundschulen der Großstädte nicht deutsch spricht, wenn Jungs sich wie Prinzen aufführen und auch so behandelt werden wollen. Das geht nicht. Die Werte und Regeln unserer Demokratie gelten immer und überall und für jeden. Nur wenn wir diese Haltung zeigen, verliert die Angst vor Migration an Kraft. Ein anderes Beispiel: Wer in Deutschland 45 Jahre lang auf einer vollen Stelle zum Mindestlohn arbeitet, liegt mit seiner gesetzlichen Rente deutlich unter der Grundsicherung. Um diese Schwelle zu überschreiten, müsste der Mindestlohn 12,63 Euro betragen. Tatsächlich wird er mit Beginn des neuen Jahres nur auf 9,19 Euro angehoben. Viele Menschen sehen darin einen Beleg dafür, dass es in diesem Land nicht gerecht zugeht.

Entscheidend ist, sich ernsthaft mit solchen Argumenten zu beschäftigen und jene, die sie vortragen, nicht zu diffamieren. In diesem Sinne liegt der Bundespräsident mit seiner Botschaft zu Weihnachten richtig. Pflegen wir also die Kultur des Streitens.