Deutschland ist zum mittleren Riesen gewachsen

Die aktuelle Flüchtlingskrise überdeckt die Bilanz der großen Koalition zur Halbzeit der Wahlperiode. Wenn man das einmal ausblendet, gibt es drei überragende Ergebnisse: Zum einen den wirtschaftlichen Erfolg.

Die ohnehin schon gute Entwicklung Deutschlands ist trotz der instabilen ökonomischen Situation in einigen europäischen Ländern und in Fernost weitergegangen. Es scheint, als könne die deutsche Wirtschaft im Moment nichts beeinträchtigen. Die vergangenen zwei Jahre haben zudem mehr soziale Gerechtigkeit gebracht. Übrigens ist Deutschland auch wegen dieser sozialen Stabilität zum Sehnsuchtsort der Verfolgten und Verarmten dieser Welt geworden. Das ist eine Bürde. Aber auch eine Auszeichnung und Chance.

Auf einem anderen Gebiet hat es einen regelrechten Sprung gegeben: Die gewachsene Bedeutung Deutschlands in der Welt, vor allem in Europa. Und zwar nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch. Deutschland ist anders als noch vor ein paar Jahren keine einfache Mittelmacht mehr, es ist ein mittlerer Riese. In der Ukraine-Krise, bei der Griechenland-Rettung und bei den Iran-Verhandlungen ist das deutlich geworden. Im Flüchtlingsdrama sind wir noch mitten drin. Deutschland ist das größte und stärkste Land des Kontinents. Es trägt deshalb deutlich mehr Verantwortung als andere, für Europa und über Europa hinaus. Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier und Wolfgang Schäuble sind dieser von Bundespräsident Joachim Gauck schon früh definierten Herausforderung auch ganz persönlich gerecht geworden.

Da ist die Frage berechtigt, ob eine „kleine Koalition“ sie auch gemeistert hätte. Die FDP konnte es jedenfalls nicht, wenn man sich nur an ihre damaligen Unsicherheiten in Sachen Griechenland oder Libyen erinnert. Und die CSU ist heute eher ein Störfaktor. Allzu oft musste Merkel sich gegen die eigene Schwesterpartei auf die SPD stützen. Nicht auszudenken, wenn die Union die absolute Mehrheit errungen hätte und deutsche Regierungspolitik von den Stimmungsschwankungen in München abhängig wäre.

Die zweite Hälfte der Legislaturperiode wird gewiss nicht weniger herausfordernd werden. Aber es lässt sich schon jetzt sagen: Die Bürger konnten am 22. September 2013 nicht ahnen, vor welchen Herausforderungen ihr Land stehen würde. Trotzdem haben sie bei der Wahl eine glückliche Hand gehabt.