Meinung Gabriels fragwürdiger Kuschelkurs mit Ankara

Sigmar Gabriel und Mevlüt Cavusoglu spazieren durch Goslar. Was da in Gabriels Heimatstadt an Bildern vom deutschen und türkischen Außenminister produziert wird, wirkt harmonisch, fast freundschaftlich.

Foto: Sergej Lepke

„Augenhöhe“ solle das Maß für den neuen Dialog zwischen beiden Ländern sein, sagt Gabriel. Augenhöhe? Natürlich ist es richtig, wenn Berlin und Ankara trotz aller Differenzen das Gespräch miteinander suchen. Aber es gibt keinen einzigen Grund für ein kuscheliges und zur Schau gestelltes Miteinander.

Obwohl der Menschenrechtler Peter Steudtner und die Journalistin Mesale Tolu nicht mehr im Gefängnis sitzen, befinden sich immer noch sieben weitere Deutsche in türkischer Haft, weil sie angeblich Terror-Organisationen unterstützen. Unter ihnen ist der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel. Seit fast einem Jahr ist er eingesperrt, es gibt weder eine Anklage noch einen Prozesstermin. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte Yücel mehrfach als Agenten bezeichnet. Fakt ist, dass sich die Türkei seit dem gescheiterten Putsch im Sommer 2016 auf dramatische Weise von den Regeln des Rechtsstaats entfernt hat. Zehntausende Regierungsgegner wurden aus öffentlichen Ämtern entlassen oder gleich ins Gefängnis gesteckt. Für einen „Dialog auf Augenhöhe“ fehlt derzeit jede Basis. Das Ziel einer türkischen EU-Mitgliedschaft wirkt unter diesen Umständen geradezu absurd.

Dass Erdogan inzwischen aufgehört hat, der Bundeskanzlerin „Nazi-Methoden“ vorzuwerfen, hat einen einfachen Grund: Die Türkei ist auf Urlauber und Investoren aus EU-Ländern angewiesen. Vor allem das Geld aus Deutschland wird gebraucht. Der Despot am Bosporus hat begriffen, dass er seine wirtschaftlichen Probleme mit Russland und China nicht wird lösen können. Möglicherweise bahnt sich da ein schäbiges Geschäft an: Ankara lässt Yücel frei — und schon klappt es wieder mit der türkisch-europäischen Zollunion, die zurzeit auf Eis liegt. Vielleicht kommt es sogar zur Wiederaufnahme von deutschen Rüstungsexporten in die Türkei, wenn alle Bundesbürger aus der Haft entlassen werden.

Gabriel hat Berichten widersprochen, dass in Goslar über solche Deals gesprochen wurde. Hoffentlich stimmt das. Denn es kann nicht sein, dass Freiheitsrechte gegen Panzer getauscht werden. Andernfalls wäre Deutschland erpressbar. Seine Bürger könnten zu Geiseln werden, deren Freilassung von Rüstungsexporten abhängt.