Meinung Gefährliche Spielchen
Kaum hat sich der Tränengasnebel in Marseille verzogen, ist vor allem vonseiten der Politik und von Verbandsoffiziellen zu vernehmen, dass es sich bei den Randalierern nicht um Fußballfans, schon gar nicht um echte, handeln könne.
Ganz so, als hätten die dreitägigen Jagdszenen in der Hafenstadt nichts mit der Europameisterschaft und den mitgereisten Anhängern zu tun.
Wer ernsthaft so argumentiert, verharmlost, verschleiert und erweist dem Sport mithin einen Bärendienst — weil er vom Hauptproblem ablenkt. Selbstverständlich gibt es bei großen internationalen Fußballturnieren ein immenses Gewaltproblem — und das schon seit vielen Jahrzehnten. Gefahr für Leib und Leben geht dabei zu allererst von den Fußballfans aus, auch wenn man sie Hooligans, Gewalttäter oder Kriminelle nennt.
Die Straßenschlacht von Marseille lässt die französischen Behörden nicht gut aussehen. Die Begegnung Russland gegen England galt als Hochrisikospiel, im Land herrscht Ausnahmezustand. Seit Wochen gibt es kaum ein anderes Thema als die Sicherheit rund um das Fußballspektakel. Dennoch gelingt es Fans im Stadion, Leuchtraketen und Rauchbomben zu zünden und den gegnerischen Block zu attackieren. Wenn statt Knallkörpern Sprengstoffgürtel explodiert wären — man mag das gar nicht zu Ende denken. Die Sorge geht in Frankreich als Letzte vom Platz.
Die EM-Randale zeigt neben massiven Problemen bei den Sicherheitskonzepten in und vor den Stadien beklemmend eindrücklich, dass es mit dem angeblich fröhlichen Patriotismus am Rande des Fußballs nicht weit her ist — geprügelt wird im Namen des Vaterlandes. Die Grüne Jugend in Rheinland-Pfalz hatte den Zusammenhang schon am Freitag im Internet verbreitet („Patriotismus = Nationalismus. Fußballfans Fahnen runter!“) und dafür einen ordentlichen Shitstorm inklusive Beschimpfungen aus den ersten beiden Reihen der Bundespolitik kassiert. Mal abwarten, wer am Ende recht behält. Noch bis zum 10. Juli wehen die Fahnen in Frankreich.