Meinung Irrsinn mit Atomkraft
Das Stück spielt zwar in Europa, aber das Drehbuch könnte aus Absurdistan stammen: Die deutsche Bundesumweltministerin Barbara Hendricks bittet die belgische Regierung, zwei uralte Atomkraftwerke stillzulegen.
Hiesige Sicherheitsexperten trauen den Reaktoren nicht zu, Störfällen standzuhalten. Belgien weist das Ansinnen zurück. Dort sehen die Fachleute kein Problem. Und mehr als freundlich bitten kann Hendricks nicht. Denn die Sicherheit atomarer Anlagen ist eine nationale Angelegenheit.
Wenn es um Standards für Kühlschränke, Äpfel oder Babyrasseln geht, fühlt sich die EU verantwortlich. Für fast alles erlässt die Gemeinschaft Vorschriften. Nur in Sachen Reaktorsicherheit ist Brüssel nicht zuständig. Dabei kann es kein besseres Beispiel für die Notwendigkeit grenzüberschreitender Normen geben. Fakt ist nun einmal, dass der Wind meist nach Westen weht. Kommt es in den schrottreifen Anlagen von Tihange und Doel zur Katastrophe, haben die Menschen in Deutschland und den Niederlanden mit der nuklearen Wolke zu tun. Vielleicht erklärt das, warum der belgische Staat und ein Großteil seiner Bürger sehr gelassen mit der atomaren Bedrohung umgehen.
Strom ist preiswert und in Europa reichlich vorhanden. Belgien kann über den deutsch-niederländischen Netzverbund sofort mit Energie versorgt werden. Wo transnationale Verbindungen fehlen, lassen sich diese Lücken rasch schließen. Im Vergleich zu den Folgekosten eines Atomunfalls ist der finanzielle Aufwand ein Klacks. Die EU braucht für den Betrieb von Kernkraftwerken einheitliche, sehr strenge Standards. Wenn es wie in Tihange und Doel erhebliche Sicherheitsbedenken gibt, gehören die Reaktoren sofort abgeschaltet. Hätte die EU das Sagen, könnten auch die zum Teil uralten Atomkraftwerke in Frankreich oder Tschechien geprüft werden. Die sind vermutlich nicht sicherer als die Reaktoren in Belgien.