Meinung Recht zu haben, reicht nicht, Herr Rajoy
Carles Puigdemont kennt nichts anderes als Konfrontation. Der Chef der katalanischen Regionalregierung will die Unabhängigkeit seiner Region — um jeden Preis. Der Katalane spricht von „Putsch“ und einem „Angriff auf die Demokratie“, wenn Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy die Absetzung von Puigdemont samt Kabinett ankündigt.
Was für ein Unfug. Die Wahrheit ist, dass die Separatisten fortwährend Recht und Gesetz missachten. Und die Wahrheit ist auch, dass prominente Katalanen wie der frühere FC Bayern-Trainer Pep Guardiola den Konflikt mit Sprüchen wie „Die Stimme des Volkes ist stärker als jedes Gesetz“ befeuern.
Im Grunde geht es ums Geld. Katalonien ist dank seiner modernen Industrie die wirtschaftsstärkste aller spanischen Regionen. Angeblich verlangt die Zentralregierung in Madrid zu viel Geld von der Region um Barcelona. Trotzdem hat es bislang keine einzige Abstimmung oder Umfrage gegeben, bei der eine Mehrheit der Katalanen für eine Abspaltung von Spanien votiert hätte. Selbst beim illegalen Referendum am 1. Oktober gab es diese Mehrheit nicht. Zwar stimmten 90 Prozent der Teilnehmer für die Unabhängigkeit, aber die Wahlbeteiligung lag nur bei gut 40 Prozent. Dass der Kurs der Separatisten ins Abseits führt, ist den katalanischen Unternehmen längst klar. Mehr als 1000 von ihnen haben ihren Firmensitz bereits in andere Teile Spaniens verlegt.
Für Rajoy wäre es ein Leichtes gewesen, Puigdemonts politische Geisterfahrt zu beenden. Er hätte Katalonien anbieten können, erneut über das Autonomiestatut für die Region zu verhandeln. Mit kleinen Zugeständnissen hätte er die Verfechter der Unabhängigkeit isolieren können. Aber die Fähigkeit, ein Klima zur Aushandlung von Kompromissen zu schaffen, geht ihm ab. Stattdessen setzt er ausschließlich auf Justiz und Polizei. Rajoy sorgt damit für verhärtete Fronten, er lässt es zu, dass der Hass sich ausbreitet. Recht zu haben und es durchzusetzen, reicht in diesem Konflikt aber nicht aus. Spanien steuert auf eine Eskalation der Gewalt zu. Die sture Haltung des Regierungschefs eröffnet Puidgemont erst den Spielraum, um sich als Retter der angeblich Unterdrückten in Szene setzen zu können. Schlimmstenfalls schickt Madrid das Militär, um die Regionalregierung zu entmachten. Eine Horrorvorstellung, denn dann ist der Schritt zum Bürgerkrieg nicht mehr weit.