Meinung Scheuers neue Verkehrsregeln: Ein kleiner Schritt gegen den Krieg auf den Straßen

Meinung | Berlin · Wer einmal in Holland oder der Schweiz Fahrrad gefahren ist, weiß, wie sich gefahrloses Radeln anfühlt. Und wer in den USA mit dem Auto unterwegs war, kennt den Wert entspannten Reisens. Auf Deutschlands Straßen und Radwegen hingegen herrscht Krieg.

Die Bußgelder fürs Parken in der zweiten Reihe, auf Geh- und Radwegen sollen steigen. Statt 15 Euro drohen bis zu 100 Euro Strafe.

Foto: dpa/Alexander Heinl

Seit der Invasion der E-Scooter nun auch auf vielen Bürgersteigen. Nahezu in keinem Land, außer vielleicht in Russland, ist das Verkehrsklima so aggressiv. Raser, Falschparker, Drängler. Längst nicht jeder verhält sich so, aber immer mehr. Von Verkehrsfluss keine Spur. In einem Fluss schwimmt man mit. Defensiv. In Deutschland beschleunigt man stattdessen von Ampel zu Ampel und setzt die Hupe zur Bestrafung anderer Verkehrsteilnehmer ein. Überdimensionierte Straßen, Übermotorisierung und fehlende oder zu hohe Tempolimits haben diese Entwicklung begünstigt. Tempo und Rücksichtslosigkeit sind zur Mentalität geworden. Nirgendwo wird auch so aggressiv Rad gefahren wie in Deutschland.

Die Landstraße zum Beispiel wird von vielen Autofahrern praktisch wie eine Autobahn betrachtet – wo andere nichts zu suchen haben. Also fährt man dort 120, nämlich Tempolimit plus 20, weil es ab da teuer wird. Jeder glaubt, das Recht zu haben, in der vorausberechneten Zeit am Ziel zu sein. Und wehe, da ist ein Hindernis oder eine Rettungsgasse zu bilden. Oder eine rote Fahrradampel.

Geht es nach Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, dürfen Pkw künftig auf die zusätzliche Fahrspur ausweichen, wenn drei Leute oder mehr drin sitzen und die Städte das so wollen. Dieser Plan erntet viel Kritik. Räder und Taxen bremsten schon jetzt Busse aus, so sieht es der Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen, Oliver Wolff.

Foto: dpa/Maurizio Gambarini

Verkehrsminister Scheuers neue Verkehrsregeln und Bußgeldvorschläge sind gut, weil sie Auswüchse bekämpfen und aktuellen Entwicklungen Rechnung tragen. Etwa die Vorschrift zur Schrittgeschwindigkeit beim Rechtsabbiegen von Lkw, bei dem pro Jahr (!) mehr Leute umkommen als bisher durch alle Terroranschläge in Deutschland zusammen. Oder die Halteverbote auf Radstreifen. Man fragt sich, warum das alles so spät kommt. Schon die neuen Gesetze gegen Autoposer und Teilnehmer illegaler Rennen haben unendlich lange gebraucht.

Ein Kommentar von Werner Kolhoff.

Foto: nn

Außerdem ist das alles nur Papier, wenn es nicht durchgesetzt wird. Und da liegt der größere Teil des Problems. Viele Verkehrsteilnehmer empfinden die Regeln ja nur als Empfehlungen, denen sie so lange folgen, wie sie gerade kein anderes, dringenderes Interesse haben. Die bisherige Untätigkeit der Behörden gegenüber Verkehrsverstößen besonders durch Autos und Lkw grenzt schon an Komplizenschaft – und ist neben zu gering bemessenen Bußgeldern mitverantwortlich für das schlechte Verkehrsklima.

Es muss doch darum gehen, Verkehrsmittel vernünftig und rücksichtsvoll zu benutzen, so dass Unfälle vermieden werden und die Umwelt geschont wird. Das wichtigste dafür wäre eine generelle Tempodrosselung. Und eine Neuaufteilung der Verkehrsräume. Abgetrennte Fahrradspuren, breite, frei gehaltene Gehwege. An Schweizer Landstraßen zum Beispiel gilt Tempo 80, in Holland vielfach sogar 60. Und Schilder signalisieren dem Autofahrer, dass er die Straße nicht für sich allein hat, sondern sie mit Radfahrern, Reitern oder Skatern teilen muss. Jawohl, mit Skatern. In Deutschland würde man ihnen den Vogel zeigen. Oder den Stinkefinger.