Heiner Geißler: Vehementes Plädoyer für mehr direkte Demokratie

Heiner Geißler kritisiert Menschenbild, das den Menschen zum Kostenfaktor degradiert.

Foto: Doro Siewert

Burscheid. Na gut, es ist Wahlkampf. Aber andererseits hat Heiner Geißler mit seinen 84 Jahren doch längst die Niederungen des Parteipolitischen verlassen und schwebt als so meinungsfreudiger wie unabhängiger Denker über den Dingen. Trotzdem: Die CDU bleibt weitgehend unter sich, als sich am Sonntagvormittag zur Premiere des Jahresempfangs der Kreispartei gut hundert Besucher in der Hauptschulaula einfinden, um dem Ex-Generalsekretär, Bundesminister a. D. und bekennenden Attac-Mitglied zu lauschen.

Geißler ist ein routinierter Redner, aber kein Dampfplauderer. Eine Stunde nimmt er sich Zeit, um konzentriert und ohne Manuskript seine Vorstellung von dem „Weg in eine neue bürgerliche Gesellschaft“ zu entfalten. Und dieser Weg hat ganz viel mit Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie zu tun.

Wirkliche Bürgerbeteiligung meint er und nicht die verwaltungsdominierten Schritte des schier undurchschaubaren deutschen Planungsrechts. Denn als tiefere Ursache der immer größeren Entfremdung zwischen Bürgern und Politik sieht Geißler ein Menschenbild der Gegenwart an, „in dem der Mensch zum Kostenfaktor degradiert wird“. Sein Beleg: Stimmten in den 80er Jahren noch 80 Prozent der Deutschen dem Satz zu: „Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es auch mir gut“, sind es heute nur noch 17 Prozent. „83 Prozent haben kein Vertrauen mehr in das wirtschaftliche System.“

Die Folge: Großprojekte wie der Bahnhof in Stuttgart oder der Flughafen in Berlin stoßen auf großen Widerstand und eine Zivilgesellschaft, die sich zunehmend selbst organisiert und inszeniert. Weil die Politik nicht in der Lage sei, die Kapitalinteressen der Finanzmärkte zu bremsen, seien die Bürger nicht mehr bereit, Großprojekte vor ihrer Haustür zu aktzeptieren. „Die Zeit der Basta-Politik ist vorbei.“

Mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein („Ich will Ihnen kurz erklären, was wir machen müssen“) skizziert Geißler seinen Ausweg. Im Verfahren liege der Knackpunkt. Pläne müssten abseits des Planungsrechts ausführlich und frühzeitig vorgestellt und zwischen Gegnern und Befürwortern auf Augenhöhe diskutiert werden. Nach der Grundsatzabstimmung müssten dann alle Alternativen offen beraten werden. Und die Politik dürfe in den neuen Bürgerbewegungen nicht länger Feinde sehen, sondern solle sich mit ihnen verbünden.

Die CDU, so viel Parteipolitik muss sein, wünscht sich Geißler dabei als Spitze der Bewegung. „Die repräsentative Demokratie wird dadurch nicht abgeschafft, sondern ergänzt.“