Als Gerresheim noch auf Draht war

Der Förderkreis Industriepfad belichtet die Historie der Drahtfabriken.

Foto: Sergej Lepke

Wenn jemand auf Draht ist, dann gilt er als geistig rege. Die Redewendung geht auf die ersten Telegrafenverbindungen aus Kupferkabeln zurück. Diese Drähte verbanden die Anschlüsse in Städten und Ländern miteinander. Wer telefonierte, war zu erreichen, war tüchtig und für wichtige Aufgaben bereit. Das trifft für den Förderkreis Industriepfad zu, dessen Vorstand unter Peter Henkel die Düsseldorfer Drahtindustrie unter die Lupe nimmt. „Düsseldorf auf Draht“ nennt sich die Ausstellung mit Katalogbuch im Kulturbahnhof Gerresheim, Heyestraße.

Was die tüchtige Crew auf 82 Seiten dokumentiert und in Kurzfassung im alten Bahnhof zur Anschauung bringt, ist enorm. Die historisch und pädagogisch gebildeten Ehrenamtler beweisen nämlich, dass die Drahtfabriken die erste bedeutende Industrie in Gerresheim stellten, noch vor der Glasindustrie. Alte Dinge aus Draht erbettelten sie von Nachbarn. So kamen eine Draht-Wiege, ein Nachteulen-Käfig und Designer-Stühle in die Schau..

Sie stellten erstaunt fest, dass die Drahtindustrie völlig aus dem Bewusstsein und dem Ortsbild verschwunden ist. Wo einst die Firmenvilla Dreher stand, befindet sich heute eine Grünanlage am Pillebach. Mit der Ortskernsanierung in den 1990er Jahren wurden die Reste der Gahlen’schen Fabriken abgerissen. Das Draht- und Drahtstiftwerk an der Gräulinger- und Gerricusstraße ist heute durch Wohnhäuser ersetzt. Die Betriebe in der einst selbstständigen Stadt Gerresheim waren klein und wurden schon bald von Großbetrieben wie Poensgen zum Aufgeben gezwungen.

Peter Henkel, Peter Stegt, Hanno Parmentier und das Ehepaar Gaby und Peter Schulenberg knieten sich voller Eifer in die Industriegeschichte. Bei der Lektüre hat man den Eindruck, die Schulenbergs probierten selbst aus, wie man anno dazumal das Metall in feine Bleche schnitt und durch Schlagen zu Draht verarbeitete. Die Zeit, da ein Schmied mit gezielten Schlägen unterm Hammer aus glühenden Vierkanteisen auf dem Amboss Nägel schuf, sind passé.

Starthilfe in Gerresheim leisteten französische Investoren, die in der Dammer Mühle das Düsselwasser nutzten. Ab 1845 spielte der Elsässer Franz Ignaz Dreher eine große Rolle, denn er heiratete in die reiche Gerresheimer Familie des Arztes und späteren Revolutionärs Peter Joseph Neunzig ein. So bekam er den nötigen Grundbesitz. Drehers Antrag für eine Drahtstiftefabrik datiert von 1850.

Die Firma Göbbels & Frieding kam gleichfalls durch Heirat zustande. Frieding aus dem westfälischen Datteln, heiratete die Schwiegermutter seines Geschäftspartners und errichtete die erste Dampfmaschine ausgerechnet neben dem Gerresheimer Rathaus.

Ein weiterer wichtiger Name ist Hugo Wilhelm von Gahlen, der zunächst in den Räumen von Göbbels & Frieding produzierte. Dessen Sohn gründete mit Heinrich Frieding 1861 eine Nietenfabrik.

Insgesamt sieben Drahtfabriken sind in Gerresheim nachweisbar. Doch schon 1850 kam die erste Konkurrenz aus Belgien mit der Familie Piedboeuf, 1860 siedelte sich die Familie Poensgen an. Beide schlossen sich 1872 zur Düsseldorfer Röhren- und Eisenwalzwerk AG zusammen und starteten in Oberbilk.

1873 produzierte Wilhelm-Heinrich Grillo in Lierenfeld, 1898 entstand durch Fusion der Phoenix-Konzern. Die Firmen saßen nicht mehr in Gerresheim, sondern im Gleisdreieck zwischen Lierenfeld und Oberbilk, wo die Cöln-Minender und die Bergisch-Märkische Eisenbahn verkehrten. Die Bahnhöfe lagen auf dem heutigen Graf-Adolf-Platz. Eine Schnellbahn erschloss den Hafen. Doch auch diese Historie ist Vergangenheit. Wo einst Klöckner und Krupp produzierten, befindet sich heute das Kulturzentrum ZAKK. Geblieben ist lediglich die Wire als Leitmesse.

Info: Ausstellung: Bis 5. November, mittwochs + freitags 16 bis 20, samstags + sonntags 14 bis 18 Uhr. Eintritt frei.

Buch: „Düsseldorf auf Draht, Die Geschichte einer vergessenen Industrie“. Fotos Thomas Boller und Willi Klar. Droste-Verlag, 8,95 Euro. ISBN 978-3-7700-60276