Restaurierung Alte Schallplatten — von analog auf digital

Karsten Lehl überspielt alte Tonträger, die sonst schon in wenigen Jahren nicht mehr zu gebrauchen wären.

Foto: Judith Michaelis

Die Zeit läuft uns davon. Woche für Woche lösen sich alte Schallplatten in Wohlgefallen auf. Davon kann Musiker und Archivar Karsten Lehl ein Lied singen. Der studierte Flötist und Sänger arbeitet am Musikwissenschaftlichen Institut der Robert-Schumann-Hochschule an der Digitalisierung historischer Tonträger, die teilweise mehr als 100 Jahre auf dem Buckel oder besser: auf den Rillen haben.

„Stetig wächst die Zahl der Platten, die sich nicht mehr abspielen lassen“, sagt Lehl. Um die Tondokumente für die Nachwelt zu bewahren, restauriert er die klingenden Schätze und spielt sie über einen Spezial-Plattenspieler mit digitaler Aufnahme-Funktion ab. Mehrere tausend Scheiben habe er bereits auf diesem Wege digitalisiert, berichtet der Fan historischer Aufnahmen. Die so entstehenden Dateien würden dann von ihm doppelt und dreifach gesichert, damit sie für sehr lange Zeit nicht verloren gehen können.

Am beständigsten sind die M-Discs (Millennial Disc) mit einer offiziellen Lebensdauer von 1000 Jahren. Diese Silberlinge seien extrem robust, weiß Lehl. „Ich habe das ausprobiert, bin mit dem Auto drüber gefahren, habe sie anschließend eingefroren und sie im gefrorenen Zustand in kochendes Wasser getaucht“, erzählt Lehl. „Trotz der extremen Belastung war die Disc noch vollständig lesbar.“

Das kann man von der Gelatine-Platte, die Lehl gerade Sorgenfalten auf die Stirn treibt, nicht behaupten. Die seien extrem empfindlich. Ein Telefongespräch des Bassisten der Comedian Harmonists, Robert Biberti (1902-1985), wurde auf die recht weichen Rillen gebannt — nicht wirklich für die Ewigkeit. Aber Karsten Lehl will das Dokument nun einmal für die nächsten 1000 Jahre retten, um Forschung und Lehre sowie allen an solchen alten Sachen Interessierten zu dienen. Unermüdlich und mit Zuversicht geht er hier ans Werk.

Besonders stark vertreten seien bislang Aufnahmen von Liedern des Frühromantikers Franz Schubert. 1600 Dokumente habe er bereits archiviert, sagt Lehl. „Das sind mehr als 50 Prozent der Aufnahmen, die jemals erschienen sind.“ Ab und zu würden Gesangsstudenten kommen und sich die alten Interpretationen anhören, um festzustellen wie früher gesungen wurde. „Ich kann den Studenten anhand bestimmter Leistungen von damaligen Sängern zeigen, was gesangstechnisch möglich ist.“ Frühe hätten die Stars viel länger geübt und manche Aufgabe besser bewältigt als heutige Sänger.

Dann ruft Lehl plötzlich eine Datei auf mit dem jüdischen Tenor Hermann Jadlowker (1877-1953). „Er war der beste Gesangstechniker seiner Zeit“, erklärt Lehl und demonstriert es an einer schwierigen Mozart-Opernarie mit vielen Trillern und anderen Koloraturen. All die Tongirlanden und Verzierungen so exakt und mit voller Stimme zu singen, gelte heute oft als gar nicht machbar. Die Aufnahme zeige, dass es mit viel harter Arbeit sehr wohl funktioniere. Ähnlich wie der legendäre Film-Tenor Joseph Schmidt beziehe auch Jadlowker seine technische Brillanz aus dem jüdischen Kantoren-Gesang, der dem Synagogen-Musiker traditionell Enormes abverlange.

Bei der Aufgabe, die Klangquellen authentisch zu archivieren, stößt Lehl unterdessen auf ein Dilemma: Einerseits sei die Laufgeschwindigkeit der Schallplatten nicht immer hundertprozentig korrekt auf den Hüllen angegeben, und andererseits die Stimmung der Orchesterinstrumente in jedem Jahrzehnt ein wenig anders gewesen. Die berühmten 440 Hertz (Hz) für den Kammerton A hätten Musiker nur selten eingehalten. Doch Lehl, der auch privat alte Schallplatten sammelt, kennt sich mit all den Traditionen so gut aus, dass er auch diese Hürde zu überwinden weiß.