Damen mit und ohne Kopf
Gaby Reutlinger ist die letzte echte Schaustellerin in Europa. Mit ihrer Revue der Illusionen ist sie die Exotin auf dem Volksfest.
Düsseldorf. Woher haben die Schausteller ihren Namen? Weil sie auf den Jahrmärkten im Mittelalter etwas zur Schau stellten. Den stärksten Mann der Welt, Damen ohne Köpfe und allerlei andere Abnormitäten, die aus Gründen des guten Geschmacks heute auf Volksfesten nicht mehr gezeigt werden. Jedenfalls bei uns.
"In Thailand soll es noch eine Frau mit zwei Köpfen geben", hat Gaby Reutlinger von Kollegen gehört und träumt dabei ein bisschen von vergangenen Zeiten.
Inzwischen ist die 45-Jährige mit ihrer Revue der Illusionen die letzte Vertreterin der alten Jahrmarkt-Tradition in Europa. Dabei liegt ihr die Schaustellerei nicht im Blut: "Ich habe 1985 als Studentin in dem Geschäft ausgeholfen." Betriebswirtin wollte die aparte Blondine eigentlich werden. Doch ihr ging es wie vielen, die einmal auf die Reise gegangen sind. Sie blieb dabei und hat das Geschäft inzwischen übernommen.
Ein harter Job, denn jeden Tag steht Gaby Reutlinger mit dem Mikrofon in der Hand vor ihrem Geschäft und versucht, die Kirmes-Besucher für die Frau ohne Kopf oder den Selbst-Versuch mit der Guillotine zu begeistern. Zwei Euro für Erwachsene kostet der Ausflug in vergangene Schausteller-Zeiten, nachmittags gibt die Chefin sogar noch manchmal Rabatt.
Dafür wird in der Reue der Illusionen Verblüffendes geboten. Aus Nordamerika kommt die Frau ohne Kopf, die freundlich ins Publikum winkt. Ihre Kollegin aus Russland kann zwar sprechen, dürfte aber Probleme beim Rundgang über den Kirmesplatz bekommen, denn ihr fehlt der Unterleib.
Und dann zieht die Chefin noch ein Relikt aus der Französischen Revolution auf die Bühne, eine Guillotine: "Da nehmen wir immer Gäste aus dem Publikum, gerne auch Bürgermeister. In Berlin hat sich sogar Albert Ritter, der Präsident des Deutschen Schaustellerbundes, unter das Fallbeil gelegt." Bislang haben alle Probanden das Experiment schadlos überstanden. So weit bekannt ist jedenfalls.
"Draußen sind die Leute besonders neugierig auf die Frau ohne Kopf, in der Show kommt Madame Afrana am besten an", weiß die Schaustellerin. Denn die Wahrsagerin kennt Geburtsdaten und Geburtsort von allen Kirmes-Besuchern: "Natürlich fragen sich alle, wie das geht, wenn sie nach der Vorstellung das Zelt verlassen." Aber das wird nicht verraten.
Obwohl die "Revue der Illusionen" praktisch konkurrenzlos ist, hat Gaby Reutlinger schon bessere Zeiten gesehen: "Wir sind in diesem Jahr nur noch auf fünf Plätzen zu Gast. Es waren auch schon mal 25." Leider spüre man auf vielen Volksfesten, dass die Besucher weniger werden: "Düsseldorf ist eine der wenigen Ausnahmen."
Außerdem sei es immer schwieriger, Personal zu finden: "Wenn man hier steht, ist das ein 24 Stunden-Job." Zum Jammern fehlt Gaby Reutlinger die Zeit. Wenig später steht sie wieder im langen Kleid auf dem Kirmesplatz, lächelt und schwärmt von ihren Attraktionen. Wie ihre Kollegen in längst vergangener Zeit.