Herr Dr. Kahl, glauben Sie, dass die Impfpflicht nun tatsächlich kommt?
Thema des Tages „Das Problem sind nicht die Impfgegner, das Problem ist das Vergessen von Impfungen“
Düsseldorf · Kinderarzt Hermann Josef Kahl fordert seit Jahren eine Impfpflicht und ein Register, mit dem Patienten an Impftermine erinnert werden.
Der Düsseldorfer Kinderarzt und Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Dr. Hermann Josef Kahl, sprach mit der WZ über seinen Alltag in der Praxis und die Vorteile einer Impfpflicht.
Dr. Kahl: Nach all den Jahren, in denen wir vertröstet worden sind, haben wir in der Tat nun den Eindruck, dass es ernst werden könnte. Bundesgesundheitsminister Spahn macht einen sehr energischen Eindruck, und auch andere Parteien signalisieren Interesse.
Wann standen Sie denn zuletzt Eltern gegenüber, die ihr Kind nicht impfen lassen wollten?
Dr. Kahl: Vorgestern. Echten Impfgegnern. Ich kenne die Familie seit Jahren und versuche genau so lange, sie von der Notwendigkeit einer Impfung zu überzeugen. Aber es wird kategorisch abgelehnt.
Aus welchen Gründen?
Dr. Kahl: Diese Leute haben Angst. Sie haben Angst davor, dass sie mit der Impfung bei dem Kind etwas bewirken, das es krank machen könnte. Und die Angst bekommen wir als Ärzte nicht aufgelöst. Das ist im Grunde eine Sache für den Psychologen.
Versuchen Sie trotzdem zu überzeugen?
Dr. Kahl: Immer. Man muss diese Angst erst nehmen. Impfgegner sind keine Egoisten oder schlechten Menschen. Sie achten sehr auf die Gesundheit ihrer Kinder, stützen sich dabei aber auf falsche Informationen. Auf Informationen, die sie sich zusammengesucht haben, im Internet oder anderswo, die überhaupt nicht überprüfbar und völlig falsch sind, die ihre Angst bestätigen.
Welche Argumente halten Sie dagegen?
Dr. Kahl: Wenn wir keine Impfung hätten, gäbe es in Deutschland jedes Jahr mehrere tote Kinder, mehrere schwer Erkrankte. Man müsste nur mal Patienten fragen, die eine Kinderlähmung erleiden mussten, ob sie lieber eine Impfung gehabt hätten anstatt ihr Leben mit einer Behinderung bestreiten müssen. Es ist vielen gar nicht mehr bewusst, wie gefährlich diese Erkrankungen sind, die wir mit Impfungen verhindern. Zwischen 2005 und 2009 gab es laut Robert-Koch-Institut nur einen einzigen anerkannten Fall eines Impfschadens durch eine Immunisierung gegen Masern. Weltweit ist kein einziger Todesfall durch eine Masernimpfung bekannt.
Wie weit kommen Sie mit einer solchen Ansprache?
Dr. Kahl: Echte Impfgegner bekomme ich damit nicht überzeugt. Aber sie sind zum Glück deutlich in der Minderheit, in meiner Praxis liegt der Anteil bei unter einem Prozent. Wir haben aber eine ganze Menge Eltern, die zunächst skeptisch sind, sich dann aber mit diesen Argumenten überzeugen lassen.
Ist der Vorteil einer Impfpflicht, dass Sie keine Überzeugungsarbeit mehr leisten müssen?
Dr. Kahl: Das Problem sind gar nicht die Impfgegner oder die Skeptiker, die überzeugt werden müssen. Das Problem ist die Nichteinhaltung von Folgeterminen. Und das geschieht selten aus Überzeugung heraus, sondern schlicht aus dem Vergessen. Vor vielen Jahren haben drei Kinder- und Jugendärzte zwei Jahre alte Kinder daraufhin überprüft, wie viele von ihnen durchgeimpft worden sind. Das Ergebnis hat die Eltern aber auch die behandelnden Ärzte überrascht. Ein Großteil hat nicht alle Impfungen bekommen.
Und da würde die Impfpflicht helfen?
Dr. Kahl: Kurzfristig wird eine Impfpflicht auf jeden Fall helfen, langfristig brauchen wir aber auch ein nationales Impfregister, das Impfungen erfasst und Patienten an jeden Termin erinnert. Es kann nicht sein, dass ich eine Erinnerung von meinem Tierarzt bekomme, dass mein Hund demnächst geimpft werden muss, Eltern aber nicht daran erinnert werden, dass die Folge- oder Auffrischungsimpfung des Kindes ansteht.
Aktuell handhaben die Kitas es so, dass Eltern bei Vertragsabschluss den Nachweis einer Impfberatung erbringen müssen. Das reicht Ihnen nicht?
Dr. Kahl: Nein, das funktioniert überhaupt nicht. Eltern können sich beraten lassen, aber müssen daraus keine Konsequenzen ziehen. Das erhöht die Impfrate nicht. Wer eine öffentliche Bildungseinrichtung wie eine Kita besucht, muss unserer Meinung nach vollständig geimpft sein.
Privaten Kitas und Tagesmüttern steht es frei, nur geimpfte Kinder aufzunehmen. Warum machen das nur wenige?
Dr. Kahl: Ich weiß es nicht. Ich kann nur appellieren, dass sich auch andere Einrichtungen an den guten Vorbildern orientieren sollten. An jenen, die nur vollständig geimpfte Kinder aufnehmen.