Düsseldorfer Psychologin im Interview Was eine Winterdepression ist – und wie man sie loswird

Düsseldorf · Sophia Kupferschmidt führte das Gespräch

Claudia Bauer ist seit 20 Jahren im Coaching und in der psychosozialen Beratung tätig.

Foto: Sophia Kupferschmidt

Erst Corona, dann der Ukraine-Krieg und jetzt der Krieg im Nahost – die Zeiten sind aktuell herausfordernd. Hinzu kommt der Winter, der dazu verleitet, eher im Bett zu liegen, statt sich mit Freunden zu treffen. Ab wann spricht man von einer Winterdepression? Wir haben mit der Psychologin Claudia Bauer darüber gesprochen. Sie ist seit 20 Jahren im Coaching und in der psychosozialen Beratung tätig.

Frau Bauer, was ist eine Winterdepression?

Claudia Bauer: Das graue Wetter hat einen großen Einfluss auf uns. Die meisten Menschen sind durch eine Lethargie in der kalten Jahreszeit nicht so aktiv, wie sie sein könnten. Unter Lethargie versteht man in diesem Zusammenhang eine Episode von Traurigkeit und Antriebslosigkeit. Dadurch entwickelt sich der Hormonhaushalt nicht so, wie er könnte. Allgemein sind der Herbst und der Winter traurige Jahreszeiten für uns. In dieser Zeit gibt es Feiertage wie den Volkstrauertag, den viele mit negativen Ereignissen verbinden. Im Frühjahr ist die Winterdepression oft Geschichte, bevor sie im Winter wieder auftritt – in der Psychologie sprechen wir von einer rezidivierende Depression. Sie verläuft bei jedem individuell.

Was unterscheidet eine Depression von einem Stimmungstief?

Bauer: Ein Stimmungstief haben wir alle, das wird durch äußere Umstände beeinflusst. Aus einem Stimmungstief kommt man schnell wieder heraus, das kann schon nach einem Tag oder einer Woche sein. Eine Depression dauert länger.

Wie komme ich aus einer Winterdepression wieder heraus?

Bauer: Licht und Bewegung spielen eine große Rolle. Es ist wichtig, sich trotz des nass-kalten Wetters zu motivieren, rauszugehen und sich zu bewegen . Oft fehlt Betroffenen die Motivation, in dem Fall sollte man sich überwinden, bestenfalls helfen Freunde oder Familie. Licht hat einen Einfluss auf unsere Stimmung, Farbtherapielampen sorgen beispielsweise für eine positive Stimmung. Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamin D, Johanniskraut oder Magnesium können auch helfen. Es ist wichtig, sich nicht zu isolieren, sondern sozialen Aktivitäten nachzugehen. Bestenfalls sollten wir uns mit positiven Menschen treffen, wenn es uns am schlechtesten geht. Zudem sollten man achtsam mit sich selbst sein. Das bedeutet, die eigenen Gefühle zu beobachten und sich etwas Gutes zu tun, wie Schokolade essen.

Sie erwähnten das Gespräch mit Freunden. Ab wann sollten Betroffene aber einen Psychologen aufsuchen?

Bauer: Es ist sinnvoll, professionelle Beratung aufzusuchen, wenn ich merke, ich befinde mich in einer Schleife, ich fühle mich nicht mehr wohl. Wir können alle in eine Krise oder Depression geraten, man sollte sich nicht schämen, sich Hilfe zu holen. Ich bin kein Freund von Langzeittherapien, sondern von der pragmatischen Umsetzung. Damit meine ich, dass ich ein Freund davon bin, Menschen in Krisen zu begleiten und Strategien für den Alltag zu entwickeln, die sie unabhängig von dem Psychologen umsetzen können. Im Alltag helfen tabulose Gespräche. Keiner will sich dem anderen mehr anvertrauen, wir wollen alle eine Fassade aufrechterhalten. Besonders in Großstädten wird Isolation gelebt, der Mensch ist aber ein Rudeltier und braucht Anerkennung. Wenn wir vorspielen, dass alles perfekt ist, geraten wir in einen Teufelskreis. Wir sollten den Mut zur Benennung unserer Gefühle haben. Vor allem junge Menschen haben viele Ängste, und sind von Selbstzweifeln geprägt. Sie suchen die Fehler nur bei sich. Ich sage dann: „Ihr seid nicht krank, es ist unsere Gesellschaft, die krank ist.“

Aktuell haben wir viele emotionale Herausforderungen durch den Krieg. Wie können wir diese Belastung aushalten?

Bauer: Wichtig ist, sich vor Augen zu halten, dass man die Welt alleine nicht retten kann, aber wir können in unserem Umfeld viel verändern. Zum Beispiel, wenn wir uns zuhören, und den Gegenüber fragen, wie es ihm wirklich geht. Es ist nicht verwerflich, an sich selbst zu denken, Freunde zu treffen oder essen zu gehen. Niemand erwartet, dass wir Übermenschen sein müssen.

Welche Rolle spielen die sozialen Medien bei diesen Belastungen?

Bauer: Die Dosis macht das Gift. Man kann sich informieren, die Frage ist, wie oft. Wenn ich merke, dass ich durch negative Informationen an nichts Anderes mehr denken kann, sollte ich mich abgrenzen.

Wie beeinflusst Corona noch heute unseren Gefühlshaushalt?

Bauer: Ich habe diese Praxis seit zehn Jahren, seit diesem Jahr  habe ich so viele junge Menschen – im Alter zwischen 17 und 35 – in Behandlung wie noch nie. Sie fühlen eine Orientierungs- und Perspektivlosigkeit und stellen sich sinnstiftende Fragen, zum Beispiel „Wozu das Ganze?“. Das liegt daran, dass sie Krisen, Kriege und die Klimakatastrophe erlebt haben. Die Pandemie wurde noch nicht aufgearbeitet, die Erinnerung ist für viele junge Menschen schlimmer als gedacht. Wichtig ist auch hier, das Gespräch miteinander zu suchen.