Düsseldorfs Bekenntnis zur Freiheit
Wenn die Wagenbauer ihre Plastiken beim Rosenmontagszug rollen lassen, ist Düsseldorf plötzlich wieder wer.
Düsseldorf. Wagenbauer Jacques Tilly und seinem Team gelingt einmal im Jahr ein wirklicher Coup. Wenn sie ihre politischen Wagen an Karneval präsentieren, erheben sie Düsseldorf nicht nur zum Zentrum spöttischer Meinungsäußerung, sondern betreiben zugleich eine erfolgreiche Imagekampagne. Plötzlich ist die Stadt ihren Schischi-Charakter los, und die Republik raunt beeindruckt: Düsseldorf ist wer. Ist so schön unabhängig. Ist mutiger als andere Städte, die den Schwanz einziehen, wenn ihnen das Bekenntnis zur Freiheit zu riskant erscheint.
In einer Halle am Steinberg in Bilk entstehen hinter verschlossenen die Wagen für den Rosenmontagszug. 15 Leute arbeiten dort. Ihre Namen und Biografien sind in der Öffentlichkeit kaum bekannt, wenngleich sie es sind, die Düsseldorf bundesweit in die Schlagzeilen bringen. Sie reden sich die Köpfe heiß, damit ihre Plastiken, die später über die Straßen rollen, eine präzise Aussage zu einem aktuellen politischen Geschehen treffen, die möglichst auch angeheiterte Narren verstehen.
Bei diesem Balanceakt — zu plakativ, nicht plakativ genug? — steht die Relevanz eines Themas auf dem Spiel. Jedoch ist auf einen wie Tilly Verlass. Der lässt nichts schleifen. Es gehört zu seinem Selbstverständnis als Intellektueller und Humanist, zum Kern einer Sache vorzudringen und sich von Erwartungshaltungen nicht beeinflussen zu lassen.
Die Anschläge von Paris haben ihn und seine Kollegen schwer getroffen, auch weil sie den Humor, den schönsten und wirkungsvollsten Partner des Kritikers, angriffen. Das Thema war in den Köpfen der Wagenbauer zementiert. Es ging und geht sie persönlich an. Dennoch vergaßen sie darüber nicht die anderen weltpolitischen Erschütterungen. Der Wagen der Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken, war einer der stärksten im Rosenmontagszug. Vielleicht sogar der stärkste. Er führt uns vor Augen, wie das aufgeklärte Abendland durch sein Wegschauen jene Werte verrät, die es seinerseits von dem islamistischen Terror bedroht sieht: Respekt, Toleranz und Freiheit. Ein bisschen nachdenken muss man also schon. So mag es Tilly. „Zugphilosoph“ hat „Der Spiegel“ ihn genannt.
Heinrich Heine nutzte seinen scharfen Geist, um den Mächtigen einen Spiegel vorzuhalten. Joseph Beuys revolutionierte von Düsseldorf aus nicht nur das Kunstverständnis, sondern knüpfte sein Schaffen konsequent an humanistische und gesellschaftspolitische Fragen. Kritische Geister geben einen Laut, wenn es in der Welt hakt. Die Wagenbauer folgen diesem Gedanken und damit einer Tradition, die nicht nur, aber eben auch in Düsseldorf zu Hause ist. Daran dürfen sich die Düsseldorfer künftig gerne häufiger im Jahr erinnern, wenn mal wieder das Klischee vom schampusseligen Dorf am Rhein bemüht wird. Augen zu und durch: Der nächste Rosenmontag kommt bestimmt.