Gasthörer an der Uni: Bei Bismarck sitzen die Senioren vorne
500 Gasthörer sind an der Heine-Uni eingeschrieben. Vor allem das Fach Geschichte lockt ältere Menschen in die Hörsäle.
Düsseldorf. Eigentlich könnte Klemens Jaschinski seit fast schon 20 Jahren unbedarft seinen Ruhestand genießen. 1994 ist der heute 80-Jährige aus seinem Beruf als Diplom-Ingenieur ausgeschieden. Doch statt sich ausschließlich dem Müßiggang hinzugeben, besucht er einmal wöchentlich eine Vorlesung in der Heinrich-Heine-Universität. Jaschinski ist einer von mehr als 500 Gasthörern, die an der Uni eingeschrieben sind.
Der Hörsaal 3H ist an diesem Tag weniger voll, als man es zu Zeiten doppelter Abiturjahrgänge und überlasteter Unis erwarten würde. Etwa 150 Menschen sitzen in den engen Bänken vor ihren Klapptischen, viele Plätze bleiben frei. An der Leinwand steht „Bismarck: Ein europäisches Leben“ geschrieben. Thema der zweiten Sitzung: „Ein konservativer Großgrundbesitzer“. Die meisten Studenten suchen sich Plätze in den hinteren Reihen. Die vorderen Reihen sind dennoch belegt: Mehr als 40 Gasthörer — offensichtlich alle im Rentenalter — haben Interesse am Leben Bismarcks.
Der Studiengang Geschichte weckt bei den Senioren die größte Nachfrage. 112 Gasthörer sind hier eingeschrieben. Einer von ihnen ist Klemens Jaschinski. Neben ihm sitzen, wie das in der Uni nun mal so ist, seine Freunde: Christoph Mücke (79), Manfred Chitil (74) und Josef Krosta (71).
Sie sind ein Team, besuchen seit Jahren gemeinsam Vorlesungen. „Ich habe mich schon immer für Geschichte interessiert“, sagt Jaschinski, der einen Teil seiner Schulzeit noch während des Dritten Reichs absolviert hat. „Und anschließend, auf der Höheren Schule, waren unsere Lehrer vom Nationalsozialismus und dem Krieg so verunsichert, dass der Geschichtsunterricht vor dem Ersten Weltkrieg endete“, ergänzt Mücke.
Das daraus resultierende Wissensdefizit im Bereich der neueren Geschichte wollten alle vier im Ruhestand ausfüllen. Ihr Leben sei durch den Krieg stark beeinflusst gewesen, einiges haben sie bewusst, anderes unbewusst erlebt. Deshalb stellten sich ihnen Fragen: Wie ist es dazu gekommen? Kann so etwas nochmal passieren? „Die Leute waren früher schließlich nicht blöder als wir heute“, sagt Mücke.
Das Interesse am Thema, intellektueller Reiz und der eigene Anspruch, fit im Kopf zu bleiben, nennen die Vier als Gründe für ihre Gasthörerschaft. Dafür zahlen sie 100 Euro Semesterbeitrag, dürfen an Prüfungen jedoch nicht teilnehmen. Außerdem müssen sie die Dozenten für jede Veranstaltung, die sie besuchen möchten, fragen, ob noch Plätze frei sind. „Für uns ist aber sowieso klar: Wenn wir sehen, dass ein jüngerer Student unseretwegen keinen Platz findet, gehen wir sofort“, sagt Josef Krosta.
Vorgekommen sei das bisher aber nicht. Und auch sonst gebe es keine Probleme mit den jüngeren Studenten. „Wir tauschen uns schon aus, aber die haben ja einen viel größeren Druck als wir und müssen gleich in die nächste Vorlesung“, sagt Jaschinski. Die vier Rentner aus Krefeld lassen es entspannter angehen. Für sie geht es nach der Bismarck-Vorlesung — ganz studentisch — zum Mittagessen in die Mensa.