Jedem fünften Düsseldorfer droht Armut

Alle reden über die Essener Tafel und Hartz IV — doch wie ist die Lage in der Landeshauptstadt? Eine Analyse.

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Düsseldorf. Armut ist plötzlich wieder ein großes Thema im reichen Deutschland. Die Entscheidung der Essener Tafel, zunächst mal keine Ausländer mehr in die Kartei der Essensempfänger aufzunehmen, sorgte für viel Kritik. Dann sorgte der neue Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit seiner Äußerung, wer Hartz IV beziehe, sei nicht unbedingt arm, für Aufregung. Wir analysieren die Lage in Düsseldorf — in Zahlen und aus Sicht von Experten. Wie stellt sich die soziale Lage statistisch dar?

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Insgesamt geht es den Düsseldorfern finanziell gut, es gibt überdurchschnittlich viele Besserverdiener, 37 Prozent der Haushalte haben netto mehr als 2600 Euro im Monat. Am anderen Ende der Skala rangieren 20 Prozent der Einwohner, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügen und als „armutgefährdet“ gelten. Während die Arbeitslosigkeit trotz wachsender Bevölkerungszahl kontinuierlich zurückgeht, haben mittlerweile fast 80 000 Düsseldorfer den Düsselpass, der ihnen Vergünstigungen bringt, weil sie nur über ein geringes Einkommen ähnlich der Sozialhilfe verfügen. Tendenz: steigend.

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Wie viele Menschen leben von Hartz IV? Derzeit beziehen 61 232, davon 43 806 erwerbsfähige Düsseldorfer, Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II, wie es offiziell heißt. Der Eck-Regelsatz beträgt 416 Euro im Monat. Innerhalb der Stadt sind die Bezieher sehr unterschiedlich repräsentiert — in reichen Stadtteilen wie Niederkassel oder Wittlaer wohnt kaum einer, in südlichen Vierteln sind es relativ viele — in Garath-Ost etwa liegt die „Hartz-IV-Quote“ bei 32 Prozent, bei Kindern gehören dort sogar 54 Prozent zu einer SGBII-Bedarfsgemeinschaft.

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Wie viele Senioren beziehen staatliche Unterstützung? Grundsicherung im Alter für über 65-Jährige und bei Erwerbsminderung (Berufstätige) bezogen 2016 11 800 Düsseldorfer (2012: 9900); im Schnitt bekamen sie 550 Euro.

Was sagt die Stadt? Sozialdezernent Burkhard Hintzsche sorgt sich um die wachsende Armut im Alter: „Wir müssen uns dieser Personengruppe noch mehr zuwenden, zumal es da nicht nur um finanzielle, sondern oft auch um Einsamkeit und andere psychosoziale Probleme geht“, sagte er bei der Vorstellung des Monitoringberichts.

Roland Buschhausen, der Leiter des Sozialamtes, warnt vor pauschalen Äußerungen, sagt aber: „Ich denke schon, dass unser Sozialstaat durch die differenzierten Regelsätze, die kostenfreie Krankenversicherung ohne Leistungseinschränkung, die Erstattung von angemessenen Mieten und die volle Übernahme der Heizkosten, zumindest ein Leben ermöglicht, bei dem man in der Gemeinschaft nicht sofort als arm auffällt.“

Andreas-Paul Stieber (CDU), der Vorsitzende des Sozialausschusses im Rathaus, meint: „Jeder, der unverschuldet in einer unangenehmen Lebenssituation steckt, ist einer zu viel. Wer mit 416 Euro im Monat auskommen muss, der sollte besser ein suchtfreies Leben führen, der muss wissen, wo er günstig einkaufen kann, sonst kommt man nicht hin.“ Ja, mit Hartz IV ließe es sich unauffällig in Düsseldorf leben, „aber die Frage ist doch, ob man mitlebt oder bloß nebenher — und ich befürchte, dass oft Letzteres der Fall ist.“ Kein Geld zu haben bedinge oft Einsamkeit, ganz besonders müsse man deshalb die Altersarmut bekämpfen.

Was sagt die Düsseldorfer Tafel? Heike Vongehr, langjährige Vorsitzende des Vereins, der an sieben Ausgabestellen in Düsseldorf Nahrungsmittel an Bedürftige verteilt, hat überhaupt kein Verständnis für Jens Spahn: „Wenn man ganz, ganz sparsam ist und sich nichts nebenbei erlaubt, ja, dann kann man von Hartz IV irgendwie leben. Aber ich meine: Es reicht nicht — warum kommen denn so viele Menschen, darunter immer mehr Senioren, zur Tafel?“

Was sagen Sozialverbände? Für die Arbeiterwohlfahrt (Awo) nennt Geschäftsführer Michael Kipshagen Spahns Hartz-Äußerung „zynisch“ — und Armut ein ernstes Problem in Düsseldorf. Besonders treibt ihn der Nachwuchs um, deshalb fordert er die Einführung einer Kinder-Grundsicherung von 600 Euro im Monat: „Gerade Kinder dürfen wir nicht in der Armut hängen lassen. Es gibt leider viel zu viele Kinder, die nicht mal ins Schwimmbad oder ins Kino gehen können, weil das für sie zu teuer ist.“ Teilhabe am kulturellen, sportlichen Leben sei aber wichtig für Kinder — und die Zuschüsse aus dem Bildungs- und Teilhabepaket aber nicht ausreichend.