„Blick in die Zukunft“ Konzeptkünstler Mischa Kuball: Corona hinterlässt Spuren
Düsseldorf · Gastbeitrag In unserer Serie „Blick in die Zukunft“ wünscht sich der Düsseldorfer Konzeptkünstler Mischa Kuball mehr Grundvertrauen in der Gesellschaft. Und er hofft, dass nach dem Ende der Corona-Pandemie nicht alles einfach wie vorher wird.
Natürlich bin ich auch unmittelbar von den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie betroffen: Projekte von mir – in Europa, in den USA, aber auch in Japan – mussten abgesagt werden. Dort wollte ich mit verschiedenen Veranstaltungen im öffentlichen Raum dafür sorgen, dass Menschen stehenbleiben, sich in kleinen Gruppen zusammenfinden und ein gemeinsamer Austausch stattfinden kann. Diese Art des Kontakts und der physischen Präsenz war nun jedoch stark reguliert. Das polarisiert auch ein bisschen meine Gefühle zu den Projekten, an denen ich gerade arbeite. Mit wie vielen Menschen darf ich in Zukunft rechnen? Wie viele Leute werden sich versammeln dürfen – in der Öffentlichkeit, in Institutionen, bei Vorträgen? All das ist plötzlich infrage gestellt.
Für meine Planung bedeutet das: Ich muss im Grunde immer mindestens zwei Szenarien vorbereiten. Einmal mit und einmal ohne Menschen vor Ort. Die Option „ohne Menschen vor Ort“ fällt mir natürlich wahnsinnig schwer. Zu meinem Material gehören nun mal bestimmte Situationen, die nur passieren, weil sie im Angesicht eines anderen Menschen passieren. Diese Projekte, die mit Anteilnahme und Partizipation zu tun haben, funktionieren eben nur, weil sich andere Menschen daran beteiligen. Sonst kommen sie nicht in Kraft, nicht in die Umsetzung. Und was haben sie dann für eine Bedeutung?
Kunst im öffentlichen Raum – darin liegt gerade eine Ambivalenz. Ist sie zu unauffällig, würde sie keiner wahrnehmen. Ist sie zu auffällig, könnte sie zu Menschenansammlungen führen. Natürlich gibt es trotzdem noch Möglichkeiten, wie künstlerische Arbeit aktuell wirken kann. Ich kann meine Themen zum Beispiel auch in digitalen Foren diskutieren. Dann spreche ich von meinem privaten Raum in andere private Räume, und wir überspringen sozusagen den öffentlichen Raum. Das ist auch sehr interessant. Aber es ist kein Ersatz zur „Agora“, in der Menschen sich treffen, um Ideen auszutauschen.
Wie die meisten Menschen verbringe ich gerade deutlich mehr Zeit zu Hause. Der positive Effekt ist, dass ich viel Zeit mit der Familie verbringen kann. Diese große Solidarität und Zuneigung zueinander gibt viel Kraft, auf jeden Fall. Aber mir fehlt schon ein bisschen diese Mobilität, die ich von den Recherchereisen kannte. Im Moment denke ich darum auch oft über Orte nach, die ich mir vielleicht lieber nochmal angeschaut hätte, wenn ich die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Wenn ich für ein Projekt an einen Ort gereist bin, dann habe ich dort ja nicht nur Unterlagen gesammelt. Sondern ich habe die Atmosphäre gespürt, hatte einen Duft in der Nase oder habe einen ganz bestimmten Sound gehört, den ich dann mit diesem Ort verbunden habe. Wenn ich jetzt nur netzbasiert recherchiere, dann komme ich an bestimmte Informationen gar nicht ran. Ich bin darum froh, dass ich die großen Projekte, die eine Ortskenntnis vorausgesetzt haben, schon fertigstellen konnte.
Generell: Im Moment fühlt sich alles ein bisschen so an, als würde man mit dem Kopf unter Wasser in der Badewanne sein. Man hört, dass da draußen irgendwas ist, aber so richtig verstehen kann man es nicht. Ein Leben im Zwischenzustand. Um trotzdem in Bewegung zu bleiben, versuche ich jeden Morgen eine Runde am Rhein zu drehen. Dann starte ich den Tag vom Dunklen ins Morgengrauen und werde oft von einer blutroten Sonne und tollem Morgenlicht belohnt. Beim Laufen sind jetzt auch deutlich mehr Leute unterwegs, auch morgens schon. Was ich dabei aber immer bemerke: Wenn die Menschen sich mit Maske begegnen, fällt der Gruß weg. Die Art der Anteilnahme und des gegenseitigen Wahrnehmens hat sich verändert. Ich kann viel schneller einfach abtauchen und bin einer unter vielen, ohne dass ich mich zu erkennen geben muss. Wir haben uns ein gegenseitiges Misstrauen antrainiert, das wieder durch ein gesellschaftliches Grundvertrauen ersetzt werden muss.
Ich scheue mich aber zu sagen, dass ich hoffe, dass alles wie vorher wird. Das wird es nicht sein können, und ich weiß nicht einmal, ob das auch erstrebenswert ist. Ich möchte lieber über das nachdenken, was unter den jeweils neuen Bedingungen sein könnte, als mir zu wünschen, es wäre alles so wie vor einem Jahr – auch wenn ich eventuell eine schöne Zeit hatte.
Für meine künstlerische Praxis bedeutet das zum Beispiel, dass ich vermehrt darauf achten möchte, dass meine Projekte klimaneutral sind. So wie ich das zum Beispiel bei meinem Metalicht-Projekt an der Bergischen Universität Wuppertal gemacht habe. Dort konnte ich den Energiebedarf komplett mit Wind- beziehungsweise Solarkraft decken. Aus dieser Option müsste in Zukunft eine Notwendigkeit werden. Nicht nur für mich. Aber ich kann ja mal bei mir anfangen.
Man kann eben nicht einfach so weitermachen, als wäre nichts gewesen. Die Erfahrungen, die wir jetzt machen, werden Spuren hinterlassen, und mit denen müssen wir uns auseinandersetzen. Wie sich Themen neu formulieren werden können, hat mir zum Beispiel die „Black Lives Matter“-Bewegung gezeigt.
Wenn ich heute den Rechner anmache und mir internationale Ausstellungsprojekte anschaue, dann sehe ich, dass viele Projekte sich mit von der Bewegung angestoßenen Impulsen beschäftigen. Das zeigt: Solche Themen werden eben nicht einfach verhallen und in Vergessenheit geraten, sondern von Künstlerinnen und Künstlern aufgenommen und in Ausstellungskontexte gestellt. Das vor allem macht mir in diesen Tagen Hoffnung.