Manfred Trojahns neue Oper Orpheus und Eurydike treffen sich zufällig im ICE, der zur Fähre in den Hades wird

Amsterdam · Die Oper des Düsseldorfers Manfred Trojahn wurde in Amsterdam uraufgeführt.

Es fühlt sich surreal an im Amsterdamer Opernfoyer: keine Impfpasskontrollen, keine Masken, geöffnete Gastronomie, volle Sitzplatzauslastung und geschäftiges Gedränge. Kurz vor Beginn der Vorstellung singt der Opernchor im Foyer die ukrainische Nationalhymne, und im Saal gibt es eine Schweigeminute. Das geht unter die Haut – und stimmt unfreiwillig ein in den Abend, der dem Mythos von Orpheus und Eurydike nachspürt, in dem letzte Fragen von Liebe und Tod und der Kraft der Kunst verhandelt werden. Manfred Trojahn, der in Düsseldorf lebende Komponist, zählt zur kleinen Schar der Großmeister seiner Zunft, die nicht nur an großen Häusern gespielt werden, sondern auch den Weg ins Repertoire zeitgenössischer Opern finden (nur seltsamerweise nicht in seiner Heimatstadt). Die neue Oper „Eurydike – die Liebenden“ gibt sich eher introvertiert. Hier verbindet Trojahn als sein eigener Librettist die mythische Geschichte aus Sicht der Eurydike mit den Orpheus-Sonetten von Rainer Maria Rilke. Zu Beginn trifft Orpheus Eurydike zufällig im ICE und singt spontan ein A-cappella-Solo. Eurydike aber ist mit Pluto, dem Gott des Todes, verabredet, was bedeuten könnte, dass sie Suizid begehen wollte. Aus dem Zug wird später eine Fähre, die in den Hades führt, aber Eurydike will nicht mehr sterben, seit sie Orpheus kennt. Schließlich darf er die Geliebte wieder zurück in die Welt mitnehmen, ohne sie ansehen zu dürfen. Wie im klassischen Mythos schafft er das nicht, aber in Amsterdam sinkt nun nicht Eurydike erneut tot darnieder, sondern Orpheus. Wiederum hat Trojahn das Orchester imposant bestückt, die Streicher- und Bläsergruppen sind groß besetzt, dazu Schlagwerk, zwei Harfen, eine achtköpfige Madrigalchor-Gruppe und vier Solisten. Bis auf wenige Momente aber ist die Tonspur fein und transparent gesetzt, oft dräut Bedrohliches aus den tiefen Registern, und gelegentlich flirrt es impressionistisch in den oberen Etagen, als hätte Trojahn eine Fortsetzung von Debussys „Pelléas“ komponiert. Regisseur Pierre Audi nimmt das französische Parfüm dieser Musik dankbar auf und setzt auf Symbolistisch-Vieldeutiges. Christof Hetzers Bühnenbild zeigt ein schrundiges, gewölbtes Halbrund, das sich mit zackigen Rissen zu einem Zugabteil öffnet; der Tresen des Restaurants erinnert an Edward Hoppers traurige „Nighthawks“. Die vom Nebel umwallte Hades-Fähre und zuletzt eine tote Monsterfliege bieten suggestive Bilder, in denen Audi sein Personal ruhig führt. Die Solisten sind exzellent. Erik Nielsen steuert das Nederlands Philharmonisch Orkest souverän und mit viel Gespür für farbliche Texturen. Am Ende großer Jubel.