Die Symphonie als Gemütszustand

Spätwerke von Mahler und Schostakowitsch in der Tonhalle.

Düsseldorf. Generalmusikdirektor Andrey Boreyko und die Düsseldorfer Symphoniker können Mahler grandios gestalten, das haben sie während des Mahler-Liedzyklus gezeigt. Das symphonische Werk wurde dem Düsseldorfer Publikum jedoch vorenthalten — bis jetzt. Denn die Absage Thomas Quasthoffs, der Mahlers „Kindertotenlieder“ singen sollte, brachte Boreyko dazu, das Adagio aus der Zehnten Symphonie ins Programm zu nehmen. Am Freitag, Sonntag und Montag ist es in der Tonhalle zu hören.

Dieses Adagio ist mehr als ein Symphoniesatz. Es ist ein Vermächtnis, es ist Mahlers musikalisches Schlusswort. Ganz vollenden konnte es der Komponist nicht mehr, sein Kollege Ernst Krenek fügte das 25-minütige Material in seiner heute bekannten Form zusammen. Zwar existieren noch kleinere Skizzen zu weiteren Sätzen, die von Musikwissenschaftlern und Kapellmeistern komplettiert wurden. In der Tonhalle jedoch verzichtet man auf die Präsentation dieser zusammengeflickten mehrteiligen Fassungen und konzentriert sich allein auf das Adagio.

Das Adagio ist ein Monument voller Klangmagie. Der reife Mahler, von privaten Schicksalsschlägen wie dem Tod seiner Tochter heimgesucht und gesundheitlich angeschlagen, führt mit dieser Musik in eine Welt intensivster Gefühle. Der in der ausgefallenen Tonart Fis-Dur stehende Satz beginnt mild und hell, steigert sich aber bis zum Ausdruck absoluter Verzweiflung. Felder scharfer Dissonanzen grenzen bereits an Atonalität.

Auf Mahlers Adagio folgt im Konzert die 1971 entstandene 15. und letzte Symphonie des Russen Dimitri Schostakowitsch. Auch in dessen Musik drückt sich Innerstes aus. Während der sowjetischen Stalin-Diktatur hatte Schostakowitsch Schwierigkeiten mit dem Regime, „Chaos statt Musik“ titelte Prawda auf Stalins Befehl nach einer Opernaufführung der „Lady Macbeth“. Der Befreiungsschlag kam für den Komponisten mit dem Tod des Diktators. In seiner 10. Symphonie schuf Schostakowitsch ein wild klingendes Stalin-Portrait.

Die 15. Symphonie kommt etwas gemäßigter daher, bietet aber starke Kontraste zwischen Heiterkeit und Ernst. Diesen Gegensatz drücken auch die Zitate aus, sie stammen etwa aus Rossinis „Tell“ sowie Wagners „Ring“ und „Tristan“. Schostakowitschs letzte Symphonie hat zwar formal wenig Ähnlichkeit mit Mahlers Adagio, doch beiden Werken ist die musikalische Verarbeitung seelischer Zustände als Leitmotiv gemeinsam.