Düsseldorf - Kom(m)ödchen Heiko Seidel: „Ironie und Witz können keine Revolution entfachen“
Als „Bodo“ ist Heiko Seidel seit Jahren Teil des rasanten Ensemble-Kabaretts im Kom(m)ödchen. Gute Unterhaltung hat für ihn Priorität.
Düsseldorf. Seit mehr als zwei Jahren läuft im Kom(m)ödchen — laufend aktualisiert — „Deutschland gucken“. Heiko Seidel ist Bodo, der als sorglos generöser Erbe wie ein Gockel über die Bühne stolziert, zu allem (s)eine Meinung und für sämtliche technischen und menschlichen Probleme eine vermeintliche Lösung parat hat, die meist im geflügelten Wort gipfelt: „Ihr müsst mich nur fragen. Aber fragen müsst ihr!“ Die WZ hat Heiko Seidel gefragt.
Herr Seidel, Ihre Mitspieler auf der Bühne behaupten: Bodo ist anstrengend, penetrant, sooo ein Angeber. Ist das, ist er so?
Heiko Seidel: Für die anderen kann er schon ganz schön anstrengend sein. Für mich selbst ist er das aber kein bisschen. Vielleicht körperlich. Aber das vergisst man beim Spiel, und dann ist es einfach immer wieder ein großer Spaß, in diese Figur zu schlüpfen.
Egal, ob Deutschland gucken, Freaks oder Sushi: Diese ganze „Heiko-Haltung“, ist das einstudiert? Wo lernt man das? In der Schauspielschule oder können Sie gar nicht anders gucken?
Seidel (guckt wieder so): Das ist mir eigentlich gar nicht so bewusst. Kommt auf die Rolle an. Auch auf den Rhythmus des Stücks. Das ergibt sich einfach so. Ich versuche mich immer ganz in den Typ zu versetzen, den ich gerade spiele.
Sie schlüpfen ins tapsige Bärenkostüm, geben dem Tri-Tra-Trullala-Integrations-Kasper unterschiedliche Stimmen. Wie finden Sie sich in Ihre Figuren ein?
Seidel: Indem ich sie ernst nehme. Ich muss sie einfach mögen, dann kann ich sie auch spielen. Ich bemühe mich immer, einen Typ fein zu zeichnen in den verschiedenen Nuancen. Das habe ich von Charly Chaplin gelernt, der gesagt hat, du kannst einen Betrunkenen nicht wie einen Betrunkenen spielen. Du musst ihn spielen wie einen Betrunkenen, der versucht, nüchtern zu sein. So wie ich einen Dummen wie einen Unwissenden spiele, der versucht, intelligent zu wirken — ohne ihn blöd dastehen zu lassen. Der Bodo ist ja auch ein bisschen so ein Typ.
Das Publikum liebt ihn und sie dafür. Lesen Sie Kritiken?
Seidel: Natürlich! Ich bin sehr neugierig. Es heißt ja immer, man soll nichts auf Kritiken geben. Tu ich aber. Ich bin glücklicherweise noch nie verrissen worden. Aber ich glaube, wenn ich schlechte Kritiken bekäme, dann hätte ich ein Problem damit. Wobei schlechte Kritiken ja auch gut geschrieben sein können — und umgekehrt.
Wie wird man überhaupt Kabarettist? Was wollten Sie mal werden als Schüler in Dresden?
Seidel: Bei mir war das relativ früh klar. Ich glaube, ich wollte Schauspieler werden. Schon meine Großmutter hat immer gelacht, wenn ich Leute imitiert habe. Schon als Kind hab ich immer Quatsch gemacht, heute kriege ich Geld dafür. Ausgerechnet Kabarettist wollte ich eigentlich nicht werden, die Texte schreiben ja die anderen, ich sehe mich da eher als Schauspieler.
Wann sind Sie nach Westdeutschland gekommen?
Seidel: Mit 22 Jahren. Ich habe 1985 einen Ausreiseantrag gestellt, bin daraufhin von der Schauspielschule geflogen, habe dann noch drei Jahre warten müssen, in denen ich als Gärtner, Modell für 3,50 Mark die Stunde und Lkw-Fahrer gearbeitet habe. Für mich war das eigentlich eine unbeschwerte Zeit, ich wusste ja, irgendwann komm ich raus. Meine erste Stadt im Westen war dann Düsseldorf.
Und wie kamen Sie zum Kom(m)ödchen?
Seidel: Durch eine befreundete Schauspiel-Kollegin, die kannte den Regisseur Michael Ehnert. Der suchte für sein Kabarett „6. Tag, 2. Versuch“ einen ganz bestimmten Typen. Meine Kollegin sagte: Ich kenn da jemanden! Dann rief Kay Lorentz an. . .
Inzwischen sind Sie eine feste Größe im Ensemble. Und wie ist das heute für Sie privat, wenn Sie Düsseldorf gucken?
Seidel: Ich wohn’ ja in Köln, pendle seit zehn Jahren Tag für Tag hin und her. Ich habe Düsseldorf immer als offene Stadt empfunden. Trotzdem fiel es mir anfangs nicht leicht, an die Menschen ranzukommen. Das ist aber besser geworden. Inzwischen könnte ich mir aber auch vorstellen, in Düsseldorf zu wohnen.
Sie haben in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag gefeiert. In Köln oder in Düsseldorf?
Seidel: Ich hatte zufällig frei an dem Tag, wollte aber eigentlich gar nicht feiern. 50, das war irgendwie komisch. Dann hab ich doch spontan Freunde eingeladen. In Köln. Die meisten Gäste kamen dann allerdings aus Düsseldorf.
Bodo behauptet auf der Bühne ja: „Wir Deutschen kommen immer sympathisch rüber. Vor allem ich.“ Wenn Sie heute auf Deutschland gucken, wie kommen die Deutschen da rüber für sie?
Seidel: Heute, wo die Welt ja gefühlt den Bach runtergeht, hat man ja manchmal gar keine Lust mehr, hinzugucken. Wenn ich die Nachrichten gucke, dann macht mich das wütend, auch ängstlich. Ich rede dann trotzdem mit den Leuten, denn man darf auf keinen Fall weggucken. Als Pendler nehm ich oft Mitfahrer mit, schon mal Flüchtlinge. Dann höre ich: Die wollen eigentlich gar nicht hier sein, sondern würden viel lieber in ihrer Heimat in Frieden leben, mit ihren Familien, ihren Freunden.
Wem möchten Sie mal hinter die Stirn gucken?
Seidel: Das ist schwer. Wem glaubt man heute noch? Wer meint es ehrlich? Ich weiß auch gar nicht, wen ich wählen soll 2017.
Kann da das Kabarett vielleicht sogar mitmischen, sich einmischen?
Seidel: Ironie und Witz können keine Revolution entfachen. Ich glaube auch nicht, dass Menschen aus diesem Grund ins Kabarett gehen. Es ist ja auch nicht mehr so politisch wie früher im Kom(m)ödchen. Ich möchte auch gar nicht mit erhobenem Zeigefinger auftreten, sondern in erster Linie unterhalten.
Wenn schon die Aussichten düster sind, wo gucken Sie Weihnachten ins Kerzenlicht?
Seidel: Zu Hause, zu viert, mit der Familie, ganz gemütlich. Silvester muss ich ja wieder auftreten, gleich zwei Mal: Deutschland gucken.