Heine-Haus: Große Kunst lässt erschaudern

Der intime Kenner der Moderne, Werner Spies, sprach über seine Begegnung mit Künstlern.

Düsseldorf. Das Multitalent Werner Shpies, Wissenschaftler, Schriftsteller, Kritiker und Ausstellungsmacher, ließ sich im Heine-Haus an der Bolkerstraße feiern.

Soeben hatte er seine gesammelten Schriften zu Kunst und Literatur herausgebracht, und Staatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, Kulturdezernent Hans-Georg Lohe sowie der Dichter und Poetik-Professor Durs Grünbein kamen herbeigeeilt und lobten.

Spies, der Aufklärer und Enthusiast, der leidenschaftliche Systematiker, große Europäer und Vermittler zwischen deutscher und französischer Kultur, lehrte von Paris aus 27 Jahre lang an der Düsseldorfer Kunstakademie und kuratierte die bedeutendsten Ausstellungen zu Picasso, Max Ernst und den Surrealisten am Grabbeplatz. Nun erzählte er, wie es dazu kam.

Er sei aus persönlichen Gründen 1962 als 23-Jähriger nach Paris gegangen. Seine Stiefmutter, vor allem aber die verheerende deutsche Vergangenheit, hätten ihn nicht in Deutschland gehalten. Er wurde Literaturagent und Lektor. In seinem Auftrag schrieben Samuel Beckett, Nathalie Sarraute, Claude Simon und Jean Tardieu Hör- und Fernsehspiele für den Süddeutschen Rundfunk.

Dann traf er auf den Altmeister der Kunsthändler, Daniel-Henry Kahnweiler. Spies nennt ihn einen "großen Kunstphilosophen" mit einer "gut strukturierten Ästhetik." Aber Kahnweiler sagte ihm auch: "Hüte dich vor dem Surrealismus und vor allem vor Max Ernst."

Im Rückblick meint Spies: "Kahnweiler hat Max Ernst diabolisiert und ihn mir dadurch schmackhaft gemacht." Spies wurde der Freund von Max Ernst und sagt "Ich entdeckte, dass dieser große Künstler keinen Katalog, kein Archiv, keine Spuren besaß. Ich war mit ihm zusammen, ich las ihm seine Lieblingsschriftsteller vor, und er erzählte Geschichten aus der surrealistischen Zeit."

Spies erkannte: "Über Max Ernst habe ich eine Ästhetik entdeckt, wie sie beispielhaft für die Kunst des 20. Jahrhunderts ist: den Surrealismus. Max Ernst eröffnete mir eine völlig neue Welt. Aus den Sedimenten einer Epoche schuf er herrliche, alchimistische Werke."

Der zweite Höhepunkt war der Besuch beim alten Picasso. Spies durfte 1970/71 das bis dahin eifersüchtig gehütete plastische Werk bearbeiten. Die Moderatorin Felicitas von Lovenberg wollte wissen, was große Kunst sei? Die souveräne Antwort: "Das Erschauern des Künstlers vor der eigenen Aktivität. Weder Picasso noch Max Ernst waren Genießer ihres eigenen Ruhms."