Heines Urgroßcousin schätzt das kluge Freche

Interview: Autor Georges-Arthur Goldschmidt stellt als Museumsschreiber das Heine-Institut vor. Er ist ein entfernter Verwandter von Heine.

Düsseldorf. Der Schriftsteller Georges-Arthur Goldschmidt musste wegen seiner jüdischen Herkunft 1938 vor den Nazis fliehen. In Frankreich studierte er Germanistik und veröffentlichte zahlreiche Essays und Romane. Jetzt war er Museumsschreiber und hat für die gleichnamige Reihe den Band über das Heinrich-Heine-Institut verfasst.

Herr Goldschmidt, Sie sind über Glückel von Hameln und Betty Goldschmidt ein entfernter Verwandter Heines. War es für Sie etwas Besonderes, Museumsschreiber für das Heine-Institut zu werden?

Goldschmidt: Die entfernte Verwandtschaft ist einfach komisch. Ich war Mitglied der Jury des Heine-Preises, habe den Heine-Kongress in Düsseldorf abgeschlossen, und dann wurde ich gebeten, über ihn dieses Büchlein zu schreiben. Das ist die sonderbare Begegnung zwischen Zufall und Geschichte.

Wie fühlt es sich an, heute über Heine zu schreiben?

Goldschmidt: Das ist schwer zu sagen. Jedenfalls hat es mir Spaß gemacht; schon seit vielen Jahren gebe ich mich mit Heine ab, weil er immer so unerwartet daneben denkt, immer so selbstverständlich und unkonform. Es gibt nichts Schöneres als so einen widerborstigen Geist, der das Vorgeschriebene nicht einhält, die so genannte "Obrigkeit” auf den Arm nimmt.

Ihre Familie ist im 19. Jahrhundert zum Protestantismus konvertiert, trotzdem wurde sie direktes Opfer der Shoah. Sehen Sie Parallelen zwischen Ihrem und Heines Leben, der ja auch wegen seiner jüdischen Herkunft und politischen Einstellung angefeindet wurde?

Goldschmidt: Nach den Bestimmungen der Nürnberger Gesetze waren wir "Volljuden” - wie alle, deren Großeltern bei der Geburt noch dem jüdischen Glauben angehörten. So verrückt waren diese ungebildeten Primitiven, die Rasse mit Religion verwechselten. Ich finde es sehr schön - übrigens nur in Deutschland - als Jude bezeichnet zu werden. Meine Familie war Opfer der Shoah, ich aber nicht. Ich bin dank französischer Menschen am Leben, die mich als Jüngling gerettet haben. Der Biographie nach gibt es tatsächlich einige merkwürdige Parallelen zu meinem Urgroßcousin.

Was verbindet Sie mit Düsseldorf?

Goldschmidt: Ich bin immer nur flüchtig in Düsseldorf gewesen, etwa zu den Sitzungen des Heine-Preises. Alle sind immer sehr freundlich gewesen, die Altstadt ist schön und lebendig, die Rheinpromenade großartig.

Literaturmuseen haben es nicht leicht. Funktioniert das Heine-Institut vor allem deshalb so gut, weil es den Namen eines großen Dichters trägt?

Goldschmidt: Ich glaube auch, dass die Verantwortlichen des Museums sich viel Mühe geben und dass ihnen vieles zu verdanken ist: Heinrich Heine ist kein so leichtes Programm.

Sie beschreiben Heine in Ihrem Essay mit all seiner Gedankenschärfe und Frechheit gegen Obrigkeiten als sehr aktuellen Dichter. Was können wir heute von Heine lernen?

Goldschmidt: Man sollte Heines Buch "Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland" von 1831 lesen. Da steht schon alles drin: wie die deutsche Philosophie mit Gepolter und Donner, mit Krachen und Flammen in der Form des Nazismus über Europa dahinfluten wird, gepanzert und kriminell. Heines Werke sind immer lustige und dabei tiefernste Warnungen und witzig und frech noch dazu.

Der zermürbende Streit um die Namensgebung der Uni ist ja noch nicht so lange her. Geht die Stadt heute richtig bzw. besser mit Heine um?

Goldschmidt: Heinrich Heine, der große Stilist, der fröhliche Freche, war ein getaufter Jude, der mit Deutschland wie wenige sonst verwachsen war. In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte sich die deutsche Universität noch nicht von ihrem Mitläufertum erholt, der Name Heine erinnerte an das vor kurzem begangene, absolute Verbrechen. Heute ist dieser Name endlich zur Selbstverständlichkeit geworden. Das zeigt, wie grundlegend Deutschland wieder zu Normalität, Demokratie und Offenheit zurückgefunden hat.