Philip Gröning: „In der Stille kommen andere Gedanken“
Film-Regisseur Philip Gröning hat seine Suche nach Stille nicht aufgegeben. Er findet sie zwischen Lohausen und Kaiserswerth.
Düsseldorf. Die Karwoche, vor allem Karfreitag, bietet in der christlichen Kultur einen Zeitraum des Innehaltens und der Stille. Mit dem dokumentarischen Kinofilm „Die große Stille“, der 2005 in Venedig uraufgeführt wurde, schuf Regisseur und Produzent Philip Gröning, ein Werk, das sich ganz der inneren Einkehr widmet. Er drehte den bislang einzigen Film, der je in der „Grande Chartreuse“, dem Mutterkloster des legendären Schweigeordens der Kartäuser-Mönche, gedreht werden durfte. Der Düsseldorfer verzichtet darin auf Musik, Interviews oder Kommentare. Auch acht Jahre später ist Stille für den Filmemacher immer noch ein großes Thema.
Ist Stille heute, fast ein Jahrzehnt nach dem Film, noch ein Thema für Sie?
Philip Gröning: Sehr stark. Ich glaube, dass ich einen großen Aufwand betreibe, sie mir zu verschaffen — beim Verfassen von Drehbüchern oder wenn ich schneide. Manchmal ziehe ich mich in ein Tal in der Schweiz zurück. Es kommen dann andere Gedanken, die im Film als größere Tiefe wahrgenommen werden können.
Gelingt Ihnen das auch im Alltag in Düsseldorf oder Berlin?
Gröning: Ich habe einen großen Luxus und zwar eine ganz kleine, ungeheizte Ein-Zimmer-Wohnung in Berlin, die wahnsinnig still ist und die ich ausschließlich zum Schreiben nutze. Dorthin kann ich mich zurückziehen. Aber es ist im Alltag natürlich schwierig, sich Stille zu verschaffen, und das gelingt ganz oft gar nicht.
Gibt es in Ihrer Heimatstadt Düsseldorf Ecken, wo Sie zur Ruhe finden?
Gröning: Ja, am Rhein, zwischen Lohhausen und Kaiserswerth.
Dort hört man doch Flugzeuge starten und landen…
Gröning: Die stören mich nicht so sehr. Die Stille der Landschaft ist stärker als Lärm von Flugzeugen oder Schiffen. Es gibt ja keine absolute Stille in der Welt. Da ist der Wind, die Bewegung der Bäume, als ich im Kloster war, hörte man Glocken. Flugzeuge sind ein Teil der Welt wie eine Kuh oder ein Vogel.
Ist Ihnen die Welt außerhalb solcher Oasen zu laut?
Gröning: Zu laut würde ich nicht sagen, sie ist eher zu zerfahren. Es ist ja toll, wenn Leute miteinander reden, aber das Geplätscher von Small Talks, wo es um nichts geht, finde ich schwierig. Ein heftiger Dialog, ein wirkliches Gespräch, das kann ja auch schon mal laut werden! Aber das ist wiederum gar kein Lärm für mich.
Der Karfreitag gehört ja zu den sogenannten Stillen Feiertagen — für Sie ein wichtiger Tag?
Gröning: Merkwürdigerweise variiert das: Es gibt Jahre, da ist das ein wichtiger Tag, und es gibt Jahre, da ist der Ostersonntag wichtig.
Würden Sie sich als religiös bezeichnen?
Gröning: Absolut. Dass es mehr gibt als das Sichtbare, einen Gott, das glaube ich schon. Ich bin katholisch erzogen worden, dann löst man sich und findet wieder zurück.
Manche Leute, darunter viele Jugendliche, protestieren Jahr für Jahr gegen das behördliche Stillegebot an Karfreitag. Was sagen Sie dazu?
Gröning: Privat laut Musik hören am Karfreitag darf ja jeder, zum Beispiel die Matthäuspassion laut aufdrehen, oder eben jede andere Musik. Dass es aber einen Tag gibt, an dem die Musik in den Clubs um Mitternacht ausgeht, finde ich gut — als Markierung, die eine bestimmte Erfahrung ermöglicht. Es haben ja alle Religionen Momente, wo der Alltag sich ändert, wo innegehalten wird.
Innegehalten haben Sie ja eine lange Zeit bei den Karthäuser-Mönchen: Haben Sie noch Kontakt zu dem Kloster?
Gröning: Kontakt habe ich immer noch. Die Mönche sind interessiert, was aus dem Film, was aus mir wurde. Es ist aber mehr eine Freundschaft aus der Ferne. Man kann da nicht jederzeit hin.
Wie hält man mit einem Schweigeorden Kontakt?
Gröning: Per Mail. Der Generalprior hat eine Mailadresse, wir telefonieren auch, aber nur ganz gelegentlich — also alle paar Jahre.