Tonhalle Berliner „Generalprobe“ in der Tonhalle
Düsseldorf · Die Philharmoniker gastierten mit ihrem Waldbühnen-Programm in Düsseldorf. Sind sie wirklich die Besten?
Ist der Hype um die Berliner Philharmoniker nicht ein bisschen zu dick aufgetragen? Wenn es heißt, das beste Orchester der Welt mit einer unerschütterlichen Tradition, mit Spielkultur, Geschmack und nicht zuletzt Kraft, die ihresgleichen sucht, mag man instinktiv an eine etwas überbordende Überhöhung denken. Immerhin gibt es sehr viele sehr gute Orchester auf der Welt, immerhin ist vieles davon abhängig, welches Repertoire ein Orchester spielt, in welcher Form es gerade ist, und ob der Dirigent, der die große Maschinerie eines Sinfonieorchesters durch die Schluchten der Partituren leitet, das Potential, was da vor ihm sitzt, auch recht zu nutzen versteht.
Nun, jetzt konnte man in Düsseldorf mit eigenen Ohren nachprüfen, wie es um die „musikalische“ Größe der Berliner wirklich bestellt ist, denn das Orchester gastierte just mit seinem Waldbühnen-Programm, das es am Samstag auf der Freichlichtbühne spielen wird, unter der Leitung von Tugan Sokhiev, unter der Kuppel der Tonhalle. Eine Art glanzvolle „Generalprobe“ für Samstag, indes nicht unter freiem Himmel und ohne „Berliner Luft“. Denn auf die traditionelle Zugabe aus der Feder von Paul Lincke verzichtete das Orchester in Düsseldorf.
Und wie verhält es sich nun mit dem „besten Orchester der Welt“? Ist es wirklich so gut? Stimmte die Chemie zwischen Dirigent, Musikern und den gespielten Werken? Und wie machten sie sich als Begleiter der französischen Mezzosopranistin Marianne Crebassa?
Die feinen, leisen, subtilen Stellen, die diffizil meandernden, aber sinnlichen Phrasen, die heimlich aus dem Nichts sich auftürmende Energie, das kammermusikalisch Intime gepaart mit dem plötzlichen Ausbruch von niemals unkontrollierter Kraft – das macht den Unterschied. Dafür braucht es natürlich eine Werkauswahl, die genau für diese Feinheiten Raum bietet beziehungsweise diese intepretatorischen Herausforderungen von dem Orchester abverlangt.
Sokhiev und das Orchester entschieden sich für eine Mischung aus Prokofjew und der „Shéhérazade“ von Maurice Ravel. Letzteres ist eine poetische klangerotische musikalische Reise in die Welt von 1001 Nacht, die einer sanften Hand bedarf. Allzu leicht verzieht sich der süße Nebel von Ravels Tonmalerei, wenn man mit zu fester Hand nach ihr greifen möchte. Hier schien der übrigens ohne Taktstock dirigierende Russe Tugan Sokhiev bestens zu passen. Mit elegant anmutenden, mal raffiniert – vielleicht nur ganz selten maniriert – wirkenden Bewegungen lenkte er die Philharmoniker durch den blumigen Duft der nicht unkomplexen Partitur. Wieviel Verführung zur Überzeichnung steckt doch in diesen Noten und wie wenig ließen die Berliner sich zu einer drohenden Verkitschung hinreißen, ohne jedoch jemals zu trocken oder zu nüchtern zu klingen. Vielleicht macht genau diese unbestechliche Souveränität sie so groß. Vielleicht liegt aber auch genau darin ihre Achillesferse? Aber diese lag an diesem Abend nun wahrlich nicht offen. Es blüht, sowohl gestrichen als auch geblasen, in den buntesten Farben der Welt. Gerade die kleinen präzisen Nuancen erreichen eine Raffinesse, die man selten hört. Wunderbar mischt sich Crebassas lyrische aber viel leidenschaftliche Durchdringung transportierende Stimme mit dem feinen Blech der Berliner, mit den singenden Holzbläsern. Wenn wir aber von lyrisch sprechen, so darf man nicht außer Acht lassen, dass die französische Sängerin mit ihrer Stimme auch betörend dramatisch anmutende Höhen produzieren kann. Und welch suggestive Mittellage sie doch hat.
Aber dieses Konzert lebte natürlich nicht nur von orientalisierender Fiktion. Prokofjews Musik, vertreten durch die Suite aus der Filmmusik Leutnant Kijé op. 60 und einer Zusammenstellung aus dem Ballett Romeo und Julia, bietet einem Orchester mindestens genauso viel interpretatorische Herausforderungen. Prokofjews Tonsprache mag auf den ersten Blick weniger fragil wirken als etwa Schuberts zerbrechlicher Ton oder Brahms’ komplexe Mischung aus sehnsüchtiger Leidenschaft und berechnender Architektur. Mag vielleicht aufs erste Hören weniger tückisch gestrickt sein als etwa die vor Ego strotzenden Werke eines Strawinsky, aber Prokofiews Tonsprache zu treffen, braucht viel Einfühlungsvermögen in den Urkern seiner musikalischen Denkweise. Spritziger Humor, funkelnde Lust am brüchigen Glanz und dennoch so viel Melancholie, melodische Innigkeit immer umrahmt von einer harmonischen Ambiguität, die aber in den großen sich auftürmenden Bögen erschreckend tief ins Mark geht. Dazu braucht es diesen differenzierten, aber voller Seele gespielten Ton. Dazu braucht es gerade in den humorvollen Einwürfen ein Gespür für das richtige Maß an Extravaganz und – das ist wohl das Wichtigste – ein Sinn für die über allem liegende urgründige Bescheidenheit, die sich hinter der großen russischen Geste verbirgt.
Wenn ein Orchester an einem Abend sowohl Orient als russische Seele makellos verklanglichen kann, ist wahre musikalsiche Größe am Werk. Echte Musikanten – pur. Und was sind sie anderes als wirkliche Musikanten, die Berliner, etwas, das sie mit den anderen großen Orchestern der Welt gemein haben. Und von denen gibt es dann doch mehr als eines. Sind sie nun das beste Orchester der Welt? Was für eine Frage – und ist das überhaupt so wichtig? Tobend bis zur Ekstase war der Applaus indes nicht. Vielleicht weil die „Berliner Luft“ fehlte?