Roman "Halbschatten": Kunstvolle Totenklage
Literatur: Uwe Timm las im Heine-Haus aus seinem Buch „Halbschatten“ – einer Reise zu kaum bekannten Schicksalen der Nazi-Zeit.
Düsseldorf. Ein vergessener Friedhof an einer der schmerzlichsten Schnittstellen deutscher Geschichte inspirierte Uwe Timm zu seinem neuen Roman "Halbschatten". Im Heine-Haus las der Autor aus diesem vielschichtigen Buch vor und zeigte, dass er nicht nur brillanter Erzähler, sondern auch meisterhafter Sprachkünstler ist.
1990 entdeckte Timm fast zufällig einen Ort, der durch die deutsche Teilung jahrzehntelang unzugänglich gewesen war - den preußischen Invalidenfriedhof an der Berliner Scharnhorststraße. Seit Friedrich dem Großen wurden hier militärische Größen beerdigt, auch Nationalsozialisten. Namen wie Todt, Fritsch, sogar Heydrich begegnetem ihm dort. Ein suggestiver Ort, inzwischen von der Denkmalpflege entrümpelt und banalisiert.
Timm schreibt gegen das Vergessen an. Er will die Menschen, die diesen Generälen, Fliegern, Reichsprotektoren zum Opfer fielen, durch ein sprachliches Oratorium in Erinnerung bringen - aus dem Halbschatten befreien. Kunstvoll komponiert er eine melancholische Totenklage von großen Zielen und menschlichen Schwächen.
Zwischen den umgestürzten Grabplatten entdeckt er auch die einer Frau: Marga von Etzdorf, eine junge Fliegerin, die als eine der ersten Frauen ihren Flugschein macht und 1931 allein nach Japan fliegt. Sie rückt Timm in den Mittelpunkt des Buches.
Wir fliegen mit ihr über Spanien nach Marokko zu den Kanarischen Inseln, lesen während der Flüge Gedichte von Heine und Eichendorff. In freien, aber stets stimmigen Assoziationen entführt Timm den Leser an die Grabeskirche von Jerusalem oder lässt ihn über die Engelslehre des Thomas von Aquin nachdenken. Aber er lässt seine Heldin auch in der Verstrickung mit den Nazis ein tragisches Ende finden.
Timm gelingt jenseits des bloßen Erzählens ein eigener, dichter Sprachduktus, der von atemlosen Stakkatophrasen bis zu elegisch ausholenden Sequenzen reicht. Ihm zuzuhören war eine große Freude - die Lektüre ist es nicht weniger.