Sexuelle Gewalt und Klischees: Beziehungsdrama wird zum Tribunal

Im Stück „3D“ von Stephan Kaluza geht es um sexuelle Gewalt — und um etliche Klischees.

Foto: Sebastian Hoppe/Schauspielhaus

Düsseldorf. Albert und Bette treffen sich nach 20 Jahren wieder. In seinem Haus am rauschenden Atlantik - dort, wo sie ihn damals zurückgelassen hat. Weil er einst die gemeinsame Tochter Clara missbraucht hat, wie sie später zugibt. Sie war kaum 30, als sie ihn verlassen hat. Und taucht nun wieder auf. Er hat sein Firmen-Imperium verkauft, räumt seine Fehler von damals ein. Kaum will oder kann sie glauben, dass er ihre Beziehung von vorne beginnen will.

Wie im Boulevardtheater beginnen die Dialoge in „3D“ von Stephan Kaluza - in einem Stück, das jetzt bei seiner Schauspielhaus-Premiere gefeiert wurde. Doch nach knapp 50 Minuten mutiert es unvermittelt zu einer Tragödie. Ein Beziehungsdrama wird zu einem Tribunal. Denn, man glaubt es kaum, die vermeintliche Gattin entpuppt sich als Tochter Clara, die als Siebenjährige von ihrem Vater zu oralem Sex gezwungen wurde und nun scheinbar nach Rache sinnt.

Der Grund: Bis heute sei sie unfähig zu einer Liebesbeziehung mit anderen Männern. Alle ihre Partner scheitern am Vergleich mit ihrem Erzeuger. Wie eine unnachgiebige TV-Staatsanwältin formuliert sie diese Anklage. Am Ende aber muss der Papa die Hose runterlassen (mit dem Rücken zum Publikum), sie will sein Geschlechtsteil sehen, gesteht ihm ihre Liebe und möchte mit ihm zusammenbleiben.

Ein heikles Sujet aus einem Psycho-Bilderbuch für Opfer sexueller Gewalt wählte Stephan Kaluza (Düsseldorfer Maler, Fotokünstler und neuerdings auch Schriftsteller) für sein zweites Bühnen-Opus, das bereits 2011 in Stuttgart uraufgeführt wurde. Dort zusammen mit einem Drama ähnlichen Themas von Franz Xaver Kroetz.

Doch in knapp 80 Minuten zeigt sich Kaluza als Bühnenautor dem Thema kaum gewachsen. Zu konstruiert wirkt die Volte, wenn sich die Frau als Tochter entpuppt. Und: Zu Seifenopern-Klischees gerinnen die Figuren, die plappern, beinah wie in Vorabendserien. Auf der Strecke bleibt daher die brisante Frage „Lässt sich eine solche Schuld überhaupt sühnen?“.

Das Milieu erinnert an das reiche amerikanische Ost- und Westküsten-Establishment: Er der große Unternehmer und Zampano, der seiner Frau allen Luxus bietet, aber sagt, sagt, wo’s lang geht. Sie, die spitzzüngige Galeristin, die sich von ihm befreit und selbst auf dem Kunstmarkt Millionen scheffelt. Es trieft nur so vor Psycho- und Sozial-Kitsch. Auch wenn die Frau, die Albert für seine Ex-Gattin hält, ihm Vorwürfe macht, oder wenn dieselbe Frau jetzt als Clara ihren Vater daran erinnert, wie er sie missbraucht hat.

Bei all’ den flächigen, flockigen, manchmal platten Gesprächen u³nd rasch durchschaubaren Konstellationen dringt Kaluza kaum in Abgründe vor, vermag trotz des Missbrauch-Sujets kaum zu erschüttern. Gerettet wird der kurze Theaterabend durch die zurückhaltende Regie von Kurt Josef Schildknecht, der zwei exzellenten Menschendarstellern freie Bahn lässt. Michael Abendroth mimt den alternden Millionär, der vor lauter Resignation seine Ex zu bezirzen versucht.

Besonders aber überzeugt Tanja Schleiff, die in der Doppelrolle beiden Figuren Profil verleiht. Als Ehefrau, die ihren Mann in Furcht und Schrecken versetzt, und als Tochter, die die Täter-Opfer-Rollen geschickt zu vertauschen versteht. Beeindruckend auch der geschlossene Raum mit Projektionsflächen, auf denen anfangs Ozeanwellen brechen, später eine Reihe von Mädchen erscheinen. Die Ausstattung stammt von Kaluza selbst und beweist, wo seine eigentlichen Stärken liegen.