Junge Schauspielhaus Theater: Pinocchio klingt im Central nach viel Holz

Eine riesige Murmelbahn, zugleich Xylophon, umgibt die Bühne, auf der ab 15. November das Weihnachtsstück läuft.

Foto: Melanie Zanin

Düsseldorf. Die Kugeln brauchen 40 Sekunden. An zwei Stellen der Bahn laufen sie los, die Neigung ihrer Holzführung beträgt drei Grad. Raus kommt eine Melodie, ein Kanon, eine Fuge. Es ist ein beeindruckendes Instrument, das Bojan Vuleti´c für „Pinocchio“, das diesjährige Weihnachtsstück im Central am Hauptbahnhof, entworfen hat.

Jede Menge Stunden verbrachte der Musikalische Leiter des Jungen Schauspielhauses damit, diese riesige Murmelbahn exakt zu justieren, damit die eingebauten Xylophonstäbe genauso klingen, wie er sich das mit dem Regisseur Marcelo Diaz vorstellt. „Und das Ganze ist nur ein Stück Holz“, erklärt Vuletic, womit er schon mitten im Stück ist.

Ein Stück Holz fällt in der weltberühmten Geschichte von Carlo Collodi dem armen Gepetto in die Hände, er schnitzt daraus eine Puppe — Pinocchio. Die Marionette erwacht zum Leben und entwischt. So gerne möchte Pinocchio ein richtiger Junge sein, so schwer hat er es auf seinem Weg. Philip Schlomm spielt Gepetto, er hobelt und sägt, Werkzeuge hat er keine in den Händen. Der Sound dazu kommt vom Bühnenrand, dort stehen seine Schauspielkollegen Dominik Paul Weber und Bernhard Schmidt-Hackenberg.

Der eine knüllt Zeitungspapier, wenn der Puppenbauer durch den Schnee stapft. Der andere schlägt die Triangel, wenn die Fee (Teresa Zschernig) mit ihrem Zauberstab Gepetto das magische Holzstück überbringt. Im Bühnenboden gibt es Kiesflächen, auf denen die Schritte durch Mikros verstärkt ein eigenes Geräusch produzieren. Dazu saust die Windmaschine und das Cembalo klingt nach vergangener Zeit.

„Wir wollten unbedingt ein akustisches Bühnenbild“, erklärt Regisseur Diaz. Mehr als 100 Inszenierungen hat der 1955 in Buenos Aires geborene Theatermann schon auf die Bühne gebracht — Pinocchio war noch nie dabei. „Diese offene Spielweise brauchen wir, um zu zeigen, dass wir die Geschichte gemeinsam erzählen.“ Keine Illusion, die Zuschauer sollen sehen, wie Theater gemacht wird. Zugleich liege man damit weit entfernt von der Disney-Ästhetik. „Und die kennen alle und vergleichen sie mit dem, was sie bei uns sehen.“

Ähnlichkeiten sind aber ausgeschlossen. Pinocchio trägt eine schwarze Maske, die eher an die Commedia dell’arte erinnert. Die Nase lässt sich ausfahren, was ja beim Lügen bekanntlich eine Rolle spielt. Jonathan Schimmer trägt Knieschoner unter den weiten Hosen, er hüpft, läuft und verdreht sich, fällt hin, steht wieder auf und springt weiter.

Von der ersten Sekunde an spürt man den Drang, mit dem sich diese Puppe ins Leben stürzt. „Mich interessieren zwei Sachen: einmal, wie Pinocchio damit umgeht, dass er anders ist und weswegen er gemobbt wird. Und natürlich sein Prozess, sich abzunabeln und reif zu werden.“ Diaz kennt das Kinder- und Jugendtheater gut, er unterrichtet in Spanien Schauspielkunst und hat an vielen Häusern inszeniert. „Es geht darum, ein Mensch zu werden. Von der moralischen Geschichte, wie sie viele kennen, möchte ich weg.“

Sein Clou ist dabei die Bühne, die alles zeigt, was Theater kann. „Sie sieht nach wenig aus“, sagt Diaz. Das stimmt. Aber sie klingt überraschend. Im Central ist das Weihnachtsstück der Auftakt für diesen neuen Spielort. Ab Januar laufen in der ehemaligen Paketpost neben dem Hauptbahnhof die Vorstellungen des Schauspielhauses. Am Gründgens-Platz wird in der Zeit saniert.