Porträt Thomas Neumann wird mit Russland-Fotos entdeckt

Düsseldorf · Porträt Der Meisterschüler von Thomas Ruff lebt seit 20 Jahren in Düsseldorf. Seine Arbeiten werden jetzt demnächst im Weltkunstzimmer gezeigt.

Thomas Neumann besuchte im Jahr 2017 das Treffen „100 Jahre Grosse Sozialistische Oktober-Revolution“ in Magadan.

Foto: Thomas Neumann

Lange ist es her, seit Thomas Neumann (45) seine ostdeutsche Heimat in Cottbus verlassen hat. Nach Abitur und Zvildienst in einem Leipziger Altenheim kam er an die Düsseldorfer Kunstakademie. 20 Jahre sind seitdem vergangen. Nun zeigt der eher zurückhaltende Künstler ab 13. März im Weltkunstzimmer eine kleine Retrospektive.

Es war 1998, als er, der Junge aus dem Osten, in die Fotoklasse kam und sich über die Überheblichkeit der Menschen im Westen wunderte. Gleich der erste Typ, dem er begegnete, gab sich elitär, nannte das Haus die Creme de la Creme und sprach vom „Durchbeißen auf dem Weg zum Erfolg“. Neumann heute: „Ich dachte, das kann ja heiter werden. Ich habe mich etwas zurückgezogen.“ Das liebt er noch heute, stellt jedoch in Japan in den wichtigsten Museen aus, hat Auftritte auch in Madrid oder München, aber keine einzige Einladung in ein hiesiges öffentliches Institut. Das soll nun anders werden.

Wir beginnen mit seiner Vita: Seine Schule in Brandenburg pflegte den Schüleraustausch mit einer Partnerschule in Minsk. 1994 hielt er sich in der 10-Millionen-Stadt Moskau für einen Sprachlehrgang auf, denn er hatte Russisch als Abiturfach gewählt. Er reiste als Tourist durch den ehemaligen Ostblock mit einer Mischung aus Abenteuerlust und den Mythen des einstigen Sowjet-Imperiums im Kopf. Er hatte die Bildbände von der „Wüste bis zum Polarmeer“ gelesen, aber wusste auch um die gegenläufigen Meldungen vom Niedergang der Sowjetunion mit ihren Industriebrachen. Er wollte wissen, wo die Wahrheit liegt.

Er fuhr einfach los, über das schon damals eher weltoffene Baltikum in die Anrainerstaaten, wo nach 70 Jahren Kommunismus nun plötzlich der Kapitalismus angesagt war. Im Rückblick meint er: „Bis auf die Ukraine wussten ja all die Nationalstaaten nicht, was sie machen sollten. Sie hatten ursprünglich nicht vor, eigenständig zu werden.“ Neumanns Fotos waren für westliche Augen eher gruselig, mit den abgewrackten Monumenten, den tristen Plattenbauten und den Denkmälern, die keiner mehr wollte. Im Vergleich dazu wirken die Industrie-Aufnahmen von Hilla und Bernd Becher wie Lichtblicke in Schwarzweiß.

Aber Neumann kannte die Bechers gar nicht. Er war „ahnungslos“, wie er sagt. Er wollte Fotografie studieren und stieß in ein Loch. Die Becher-Klasse war 1998 ein auslaufendes Modell, und Becher war pensioniert. „Ich habe Bernd Becher zweimal getroffen. Was er machte, wusste ich nicht.“ Neumann fand jedoch das „Allein-Arbeiten“ gut. Er hatte eigene Ideen, die er umsetzen wollte. Aber er war ein Amateurfotograf mit eigener Mittelformatkamera. Mehr nicht.

Er erlebte nicht nur den Umbruch in der Foto-Klasse, wo die Studenten zwei Jahre lang alleingelassen wurden, bis Thomas Ruff 2000/2001 Bechers Nachfolger wurde. Es war zugleich die Wende von analoger zur digitaler, künstlerischer Fotografie. Der Neu-Düsseldorfer benutzte nun die analoge Plattenkamera und ließ das Material im Fachlabor scannen. Die Kunstakademie hatte kaum Equipment, und Neumann besaß erst 2002 eine kleine Digitalkamera.

Der Student startete noch 1998 mit dem Projekt „homo sovieticus“ („Sowjetmensch“). Sein Künstlerbuch hatte vier Jahre später 58 Fotos. Es zeigt die verblichenen Politgrößen auf den Denkmälern der Sowjets und die verlassenen Hochhäuser nach der Touristen-Flaute in Minsk. Zuletzt scannte er Abbildungen aus alten Büchern oder alten Prawda-Zeitungsfotos, griff anschließend mit seiner Digitalkamera ein und zog die Aufnahmen in merkwürdig nostalgischen, altmodischen Farben ab. Er begann sich zu fragen, „wie man die Realität nehmen und loslösen“ kann. Thomas Ruff, dessen Meisterschüler er wurde, fand die Ergebnisse kommentarlos in Ordnung.

Sein Absolvent aber geht seitdem der Glaubwürdigkeit der Fotografie nach. Deshalb gibt er der Ausstellung im Weltkunstzimmer den eher vertrackten Titel „Exakte Vertrauensgrenzen“, wohl wissend, dass es diese klare Grenze nicht gibt, denn die Kamerakunst ist keine Glaubensfrage, sondern eine Frage der Wahrnehmung. So fuhr er 2017 zum 100-jährigen Treffen anlässlich der Oktoberrevolution abermals nach Russland, um zu erfahren, was hundert Jahre nach der Gründung der Sowjetunion davon übriggeblieben ist. Und die Menschen wehten mit ihren roten Fahnen, als sei nichts geschehen.

Aber er reiste nun mit seiner Großformatkamera auch durch die japanische Landschaft und lichtete zwischen Bergen und Tälern den Wald am Steilhang ab. Er scannte die Negative als Diapositive und verwandelte das Schwarze ins Weiße und umgekehrt. Seine Fotos wirken in der Invertierung irritierend, weil die räumliche Orientierung verlorengeht. Der Wald scheint einer fremden, sphärischen Welt anzugehören.

Inzwischen wird er in Museen zwischen Tokio, Kyoto oder Osaka begeistert aufgenommen. „Mori“ nennt er die Waldbilder, die die feinen monochromatischen Gradationen von Weiß zu Grau und Schwarz festhalten. „Ishi“ heißt seine Serie der Natursteine in den hölzernen Schalen, die er als idealisierte Landschaft begreift. Die jüngste Serie gilt dem „Katagami“, einer uralten Technik der japanischen Handwerkskunst. Dabei wird mit feinsten Stiften in Papierschablonen gestochen, danach das Papier mit flüssigem Reis bestrichen, um an den freigelassenen Stellen die Stoffe zu färben. Seine eigene Katagami-Kunst befindet sich im Übergang zur Computergrafik.

Im Weltkunstzimmer sind auch ungewöhnliche Schneebilder aus der Polargegend zu sehen. Er ist 2012 die 2000 Kilometer lange Route von Magadan nach Jakutsk zum kältesten Ort der Welt bei minus 50 Grad abgefahren. Neumann wollte die ehemaligen Gulag-Orte besichtigen. Für ihn ist es eine noch nicht aufgearbeitete Vergangenheit aus einer Zeit, wo die Leute unter unmenschlichen Bedingungen als Kriegsgefangene und politische Gefangene Gold abbauen mussten und eine minimale Infrastruktur besorgten, bevor ihre sterblichen Reste in die „Straße der Knochen“ einbetoniert wurden. Er nahm den weißen Schnee auf, eigentlich eine Unmöglichkeit in der Fotografie, denn wer eine Landschaft mit Eiskristallen im Focus hat, hat das Nichts auf dem Foto. Mit ein paar Relikten der Zivilisation versehen, könnte man die Bilder als Land Art bezeichnen. Aber wer sie richtig liest, bemerkt auch die Tragik, die dahintersteht.

Ab 13. März, Weltkunstzimmer, Ronsdorfer Straße 77a, Donnerstags bis sonntags, 14 - 18 Uhr. Katalog erscheint bei Hatje Cantz.