Mein Vater Otto Piene

Annette Piene schildert die Anfänge des Zero-Künstlers, der noch als Schüler Vater wurde und der Familie viel zumutete, bevor er nach Amerika entschwand.

Foto: Helga Meister

Wenn Annette Piene Württemberger etwas von ihrem Vater geerbt hat, dann sind es zwei Fähigkeiten: die Sprachbegabung und das Gedächtnis. Damit überzeugte sie jetzt auf der Erinnerungsveranstaltung zum 90. Geburtstag des vor zwei Jahren verstorbenen Otto Piene. Wir sprachen mit ihr, die rückblickend meint: „Er hat der Familie viel zugemutet.“

Foto: Helga Meister

Die Anfänge des Zero-Begründers sind für heutige Verhältnisse kaum nachvollziehbar. 1946 wurde er als Kindsoldat aus dem Zweiten Weltkrieg entlassen, holte das Abitur nach und wurde noch als Schüler Vater. Annette war sechs Monate als, als er zum Studium nach München aufbrach. Sie erinnert sich: „Meine Großmutter, meine Mutter und ich blieben jahrelang in der Drei-Weiber-WG.“ Das war in Lübbecke in einer „fürchterlichen Wohnung“, weil das Elternhaus besetzt war.

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Papa kam in den Semesterferien nach Hause und malte. Klein-Annette saß auf dem Sofa, als er offenbar ausflippte. Jedenfalls waren Mutter und Ehefrau Hildegard sehr beflissen, damit sich der Student wohlfühlte und arbeiten konnte. Irgendwann kam Mutter Piene aus der Küche und fragte ihn, ob er Hunger habe. Doch der junge Mann geriet „etwas außer sich“, weil er konzentriert arbeitete und nicht gestört werden wollte.

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Als „Ötte“, wie sie ihn nannten, nach sieben Jahren mit dem Kunststudium in München und Düsseldorf fertig war, wurde die Familie in Düsseldorf auf der Lanker Straße 33 zusammengeführt. Die Tochter schildert die Situation der inzwischen vierköpfigen Familie: „Die Wohnung war klitzeklein. Sie hatte nur 20 Quadratmeter. Mein Vater richtete sie maßgeschneidert ein, weil kein einziges normales Möbelstück dort gepasst hätte.“ Zum Baden ging man einmal in der Woche ins Volksbad.

Annette Piene, Tochter

Doch kaum hatte Piene die Akademie beendet, erklärte er der Familie, er werde in Köln Philosophie studieren. Annette: „Er studierte schlappe 18 Semester insgesamt“. Nun hätte doch die Familie die Reißleine ziehen und ihm die Philosophie ausreden können. Warum sie es nicht tat, erklärt Annette: „Mein Vater wollte Künstler werden, daran ging kein Weg vorbei. Es gab zwei Dinge, die für ihn wichtig waren, das Künstlerdasein und die Ernährung der Familie.“

Er unterrichtete in der Modeschule an der Ludenberger und Uhlandstraße. Abends nach dem Essen ging es ins Atelier auf der Gladbacher Straße, zur Nachtarbeit. Annette betrachtet den Vater sehr genau, aber zugleich mit einem leicht kritischen Unterton. „Er hatte ein unglaubliches Wissen. Aber aus der Sicht von Kindern war er auch sehr anstrengend und fordernd. Ich habe mich in den Ferien hingesetzt und die Kunststile auswendig gelernt, von der Antike bis in die Moderne. Das ist irgendwie Gaga.“

Das Geld spielte bis zu Pienes Weggang nach Amerika eine große Rolle, wenn die Tochter sagt: „Wir sind auf der Durststrecke groß geworden.“ Die Ferien wurden bei der Großmutter verbracht. War ausnahmsweise etwas Geld da, ging es mit der inzwischen fünfköpfigen Familie nach Spanien, durch Frankreich, wo die Tochter Baguette und Käse holen musste. Sie erzählt: „Wir haben im Auto gegessen und im Auto übernachtet. Und wenn wir alle ausstiegen, gingen wir nicht etwa in ein Restaurant oder Café, sondern wir gingen Kathedralen gucken.“

Die Tochter meint: „Er war völlig abgehoben. Er war teilweise romantisch und theatralisch, auch in der Sprache.“ Der wunderschöne Satz: ’Ich träume von einer besseren Welt. Warum sollte ich von einer schlechteren träumen’ sei typisch für ihn. Das Resümee: „Alles war sehr künstlerisch, was er gemacht hat.“

Nach ihrer Ansicht war Otto Piene ein „Überzeugungstäter“, ein „extremer Bürger“. Mit Boheme habe es nichts zu tun gehabt. Die Tochter schildert es: „Obwohl wir kein Geld hatten, gab es eine Sonntagskleidung, die uns meine Mutter genäht hat. Wir sahen dann wie aus dem Ei gepellt aus.“

Die Tochter macht diese Bürgerlichkeit an drei Maximen des Vaters fest: „Da war die preußische Disziplin fast bis zum Untergang, die individuell interpretierbare Gerechtigkeit und der Fleiß. Mein Vater war unheimlich fleißig.“

Zum alltäglichen Leben meint sie: „Wir waren fürchterlich bürgerlich, aber wir konnten diese Bürgerlichkeit nicht leben, denn wir hatten kaum Geld.“ In den Ferien ging es noch immer zur Großmutter. Dann hieß es zu Hause: „Dafür habt ihr einen Vater, der in der Zeitung steht.“

Das letzte Quartier in Düsseldorf lag in der Cranachstraße. Doch dann kam der Bruch. Die Tochter berichtet: „Ich war kurz vor dem Abitur, als sich meine Eltern scheiden ließen. Er ging nach Amerika. Da saß meine Mutter mit uns Kindern da. Das war nicht so toll.“ In Amerika traf er nach drei Ehen auf Elizabeth. Hierzu die Tochter: „Ein beeindruckendes Team. Er wurde Amerikaner. Zugleich wurde er am MIT von seinen Studenten angehimmelt.“

Elizabeth hat zu den drei deutschen Stiefkindern ein gutes Verhältnis. Barbara Könches von der Zero-Foundation ist hell begeistert, denn durch Elizabeth lernte sie Annette Piene kennen, die nun an einem Buch über ihren Vater schreibt. Annettes Sohn Max bereitet einen Film über den Großvater vor. Und in einigen Wochen wird auch das ehemalige Atelierhaus in der Hüttenstraße eingeweiht, mit dem Atelier von Piene. Die Erinnerung an Zero bleibt also wach.